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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Satz.
    »Durch meinen Vater«, antwortete sie. Bei dem Wort »Vater« stockte sie, als würde sie erwarten, daß er Einwände erhob. »Meinen richtigen Vater«, fügte sie dann dezidiert hinzu.

    »Nun, der kannte sich auch aus«, gab Roger milde zurück und ließ die Herausforderung im Raum stehen. Dafür ist später noch genügend Zeit, meine Gute, dachte er zynisch. Aber nicht ich werde mich mit dir darüber auseinandersetzen.
    Am Ende der Straße entdeckte Roger ein erleuchtetes Fenster, das zur Wohnung der Edgars gehören mußte. Demnach war die Beute im Bau. Beim Gedanken an das bevorstehende Gespräch erfaßte ihn plötzlich Aufregung.
    Doch als sie den gemütlichen Pub betraten, in dem es verführerisch nach Fleischpastete duftete, wich die Aufregung rasch dem Appetit. In einer unausgesprochenen Übereinkunft vermieden es die beiden, die Ereignisse des Vorabends zu erwähnen, so daß sich ein angenehmes und freundliches Gespräch entwickelte. Roger war aufgefallen, wie sehr sich das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter abgekühlt hatte, als sie Claire auf dem Weg zum Pub bei einem Taxistand abgesetzt hatten. Wie sie so schweigend auf dem Rücksitz saßen, hatten sie ihn an zwei Katzen erinnert, die sich mit angelegten Ohren und zuckenden Schwänzen gegenüberhockten und es peinlichst vermieden, einander in die Augen zu blicken, weil sie dann fauchend übereinander herfallen würden.
    Nach dem Essen holte Brianna ihre Mäntel, während er die Rechnung zahlte.
    »Wozu soll die denn gut sein?« fragte sie, als sie die Whiskyflasche sah. »Planst du für heute noch ein Remmidemmi?«
    »Ein Remmidemmi?« fragte er grinsend. »Du machst anscheinend Fortschritte und hast deinen Wortschatz erweitert. Und was hast du sonst noch gelernt?«
    In gespielter Schüchternheit senkte sie den Blick.
    »Daß es einen Tanz gibt, den man >Letkiss< nennt. Aber es wäre wohl unziemlich, wenn ich dich jetzt bitte, ihn mit mir zu tanzen.«
    »Nicht, wenn du es ernst meinst«, entgegnete er. Sie lachten, doch die Röte auf ihren Wangen war tiefer geworden. Ihm selbst wurde bei dem Vorschlag so warm, daß er sich den Mantel über den Arm hängte, anstatt ihn anzuziehen.
    »Wenn ich genug von dem Zeug da getrunken habe, ganz bestimmt«, sagte sie und zeigte mit einem malizösen Lächeln auf die Whiskyflasche. »Nur, daß er so schrecklich schmeckt!«
    »Daran gewöhnt man sich, Mädel«, erwiderte Roger mit breitem schottischen Akzent. »Nur die Schotten saugen ihn schon mit der
Muttermilch auf. Ich werde dir mal eine Flasche kaufen, damit du üben kannst. Aber diese hier ist als Geschenk gedacht. Ich habe sie jemandem versprochen. Willst du mitkommen, oder soll ich sie später abgeben?« Roger wußte nicht, ob er Brianna wirklich dabeihaben wollte, doch als sie nickte und in ihren Mantel schlüpfte, freute er sich.
    »Natürlich komme ich mit.«
    »Gut.« Zärtlich rückte er ihr den Mantelkragen zurecht, der sich beim Anziehen aufgestellt hatte. »Es ist nur ein Stück die Straße hinunter - wollen wir zu Fuß gehen oder fahren?«
     
    Abends wirkte die Gegend ein wenig freundlicher. Die Dunkelheit hatte die schäbigen Winkel eingehüllt, und das Licht, das aus den Fenstern fiel, verlieh der Straße eine Heimeligkeit, die sie tagsüber nicht hatte.
    »Es kann aber länger dauern«, warnte Roger, als er auf den Klingelknopf drückte. Dabei wußte er nicht, ob ihm das überhaupt lieb sein würde. Als die Tür geöffnet wurde, verflog seine Angst rasch. Immerhin war jemand zu Hause und bei Bewußtsein.
    Edgars hatte sich offensichtlich den Nachmittag über von einer der Flaschen Gesellschaft leisten lassen, die auf der wackligen Anrichte hinter ihm aufgereiht waren. Glücklicherweise brachte er die abendlichen Besucher nicht mit den Störenfrieden vom Nachmittag in Verbindung. Als Roger sich vorstellte, staunte er.
    »Gillians Cousin? Wußte gar nicht, daß sie einen Cousin hat.«
    »Tja.« Roger nutzte Edgars’ Unkenntnis kühn zu seinem Vorteil. »Das bin ich.« Mit Gillian würde er schon fertigwerden, wenn er ihr gegenüberstand. Falls er sie überhaupt zu Gesicht bekam.
    Edgars blinzelte. Dann rieb er sich mit der Faust über ein entzündetes Auge, als würde er dadurch klarer sehen. Mit einiger Anstrengung richtete er den Blick auf Brianna, die sich im Hintergrund hielt.
    »Und wer ist das?« forschte Edgars.
    »Das... das ist meine Freundin«, improvisierte Roger. Brianna blickte ihn aus schmalen Augen an, sagte aber nichts.

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