Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Sicher hatte sie den Braten bereits gerochen, doch sie trat widerspruchslos ein, als Greg Edgars ihnen die Tür aufhielt.
    Die kleine Wohnung war mit Gebrauchtmöbeln vollgestopft. Es roch nach kaltem Rauch und zu selten herausgebrachtem Müll, und auf jeder horizontalen Fläche türmten sich die Überreste von Fertiggerichten.
Brianna warf Roger einen Blick zu, der besagte: Du hast aber eine nette Verwandtschaft! Er zuckte hilflos die Achseln: Ist nicht meine Schuld. Offensichtlich war die Hausfrau nicht daheim, und das schon seit einiger Zeit.
    Zumindest nicht körperlich. Als Roger sich zu dem Stuhl umwandte, den Edgars ihm anbot, fiel sein Blick auf ein großes Porträtfoto, das in einem Messingrahmen auf dem Kaminsims stand. Er mußte sich auf die Lippen beißen, um einen Ausruf der Überraschung zu unterdrücken.
    Die Frau auf dem Foto schien ihm geradewegs in die Augen zu blicken, wobei ein angedeutetes Lächeln ihre Lippen umspielte. Das dichte platinblonde Haar fiel ihr auf den Rücken und umrahmte das ebenmäßige, herzförmige Gesicht. Dichte, dunkle Wimpern beschatteten die grünen Augen.
    »Gut getroffen, nicht wahr?« fragte Edgars, der sich dem Foto ebenfalls zugewandt hatte und es halb feindselig, halb sehnsüchtig betrachtete.
    »Äh, ja, ein gutes Foto.« Roger, der sich ein wenig beklommen fühlte, hob eine zerknitterte Pommestüte von seinem Stuhl. Brianna hingegen betrachtete das Porträt voller Neugier. Sie blickte von dem Foto zu Roger und wieder zurück, als würde sie Vergleiche anstellen. Aha, deine Cousine, schien sie zu sagen.
    »Gillian ist wohl nicht da?« Roger winkte ab, als Edgars ihm fragend die Flasche entgegenhielt. Doch dann änderte er seine Meinung und nickte. Vielleicht gewann er Edgars Vertrauen, wenn er mit ihm ein Glas leerte. Denn wenn Gillian nicht da war, mußte er herausfinden, wo sie sich aufhielt.
    Edgars schüttelte den Kopf, während er mit den Zähnen an der Versiegelung der Flasche riß. Schließlich pflückte er sich Wachs und Papier von den Lippen ab.
    »Wohl kaum, mein Freund. Wenn sie da ist, sieht es hier ein bißchen anders aus.« Er wies auf die überquellenden Aschenbecher und die zerknüllten Pappbecher. »Vielleicht so ähnlich, aber nicht ganz so schlimm.« Er holte drei Weingläser von der Anrichte und prüfte zweifelnd nach, ob sie staubig waren.
    Dann goß er sie mit der übertriebenen Vorsicht eines Betrunkenen mit Whisky voll und trug sie zu seinen Besuchern. Brianna nahm ihres höflich entgegen, wies aber den angebotenen Stuhl dankend ab. Statt dessen lehnte sie sich anmutig gegen die Anrichte.

    Edgars ließ sich auf das ramponierte Sofa fallen und hob sein Glas.
    »Prost, Freunde!« rief er, bevor er schlürfend einen großen Schluck trank. »Wie heißen Sie noch mal?« fragte er. Aber gleich darauf unterbrach er sich, weil es ihm wieder eingefallen war. »Ja, richtig, Roger. Gillian hat Sie nie erwähnt... aber das ist auch nicht ihre Art«, fügte er selbstmitleidig hinzu. »Sie redet praktisch nie von ihrer Familie, und deshalb kenne ich auch niemanden. Glaube, sie schämt sich für ihre Angehörigen... aber sie schauen gar nicht so übel aus«, meinte er großzügig. »Und Ihr Mädel ist echt ’ne Wucht.« Er lachte laut auf, so daß ein feiner Whiskyregen durch die Gegend sprühte.
    »Ja«, sagte Roger. »Danke.« Vorsichtig nippte er an seinem Drink. Brianna hatte sich angewidert von Edgars abgewandt und war angelegentlich damit beschäftigt, den Inhalt der Anrichte durch das Facettenglas der Türen zu mustern.
    Es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden, dachte Roger. Edgars würde eine Anspielung auch dann nicht erkennen, wenn sie ihm in den Hintern biß. Außerdem, wenn er in dem Tempo weitertrank, bestand die Gefahr, daß er demnächst überhaupt nicht mehr ansprechbar wäre.
    »Haben Sie eine Ahnung, wo Gillian steckt?« fragte er ohne Umschweife. Wie immer wollte ihm ihr Name kaum über die Lippen kommen. Er blickte wie magnetisiert auf das Kaminsims, wo ihr Porträt stand und auf die alkoholischen Ausschweifungen herablächelte.
    Verneinend schwang Edgars den Kopf hin und her wie ein Ochse über der Futterkrippe. Er war in Rogers Alter, sah aber durch seine grauen Bartstoppeln, das ungepflegte dunkle Haar und die gedrungene Figur älter aus.
    »Näh«, erwiderte er. »Ich dachte, das könnten Sie mir erzählen. Wahrscheinlich ist sie bei den Nats oder bei den Rosen, aber ich bin nicht mehr auf dem laufenden, wer im

Weitere Kostenlose Bücher