Die gelöschte Welt
Gonzos Vater attackiert das Eis mit der Säge – zuerst nahe am Ufer, später aber weiter draußen, sobald klar ist, dass keine irdische Gewalt dieses Eis zerbrechen kann –, hat aber nicht viel Erfolg. Der alte Lubitsch drischt auf das Eis ein, aber das ist ein hart gefrorenes Zeug wie das Eis in der Arktis, es ist ein störrischer Kunde und hat was gegen Leute, die auf ihm herumhacken. Dieses Eis ist dem alten Lubitsch sogar sehr ähnlich, denn er wurde aus seiner Heimatstadt verjagt, weil er den Kommunisten frech gekommen war, und durfte danach nicht zurückkehren, weil er den neuen Machthabern auf die gleiche Weise frech gekommen war. Auf ewig exiliert, ein Briefe schreibender Unzufriedener, »wütend auf und enttäuscht von Cricklewood Cove«. Gonzos Vater wird keinesfalls aufgeben. Er wird dieses Eis durchdringen, und wenn er ihm ewige Rache schwören muss. Also kommt ihm Gonzo mit einem Plan zu Hilfe.
Normalerweise bin ich der Vertraute, der Gonzos Pläne als Erster hört. Zu mir kommt er mit seinen schlimmsten Ideen, und es ist meine Aufgabe, sie ihm auszureden und ihm weniger lebensgefährliche Alternativen vorzuschlagen, wie etwa, wenn er auf die Idee kommt, eine Taschenlampe direkt mit dem Stromnetz zu verbinden, um einen Lichtsäbel zu bekommen. Heute aber trägt Gonzo einem weniger abgeklärten und möglicherweise auch nicht ganz so vernünftigen Publikum seinen Plan vor. Eltern sind vernarrt in ihre Kinder. Besonders Väter unterweisen ihre Söhne in männlichen Verhaltensweisen und Pflichten, um sie auf die heiligen Aufgaben des Patriarchen vorzubereiten, als da sind: Feinde erschießen, Dinge in die Luft jagen und mächtige Fuhren toter Tiere durch die weiße Einöde schleppen, um den Stamm zu ernähren. Eine solche Situation – die mögliche Niederlage der Jäger des Stammes vor einer leblosen Eisdecke – passt hervorragend in diese Kategorien. Deshalb tritt ein ganz besonderer Schimmer ins Auge des alten Lubitsch, als Gonzo eine ebenso einfache wie radikale und zielführende Lösung vorschlägt. Dieser Blick verrät, dass der Alte, als er so jung war wie Gonzo, durchaus einmal eine ähnlich großartige Idee hatte, dass dieses Juwel jedoch unter dem gewichtigen Stiefelabsatz eines Erwachsenen zermalmt wurde. Nun aber ist Gonzos Vater in der Lage, die Tat zu vollbringen, sich gleichzeitig zu rächen und zu beweisen, dass er für die Genialität seines Sohnes mehr Verständnis zu zeigen vermag, als ihm selbst zuteil wurde. Ergraut und zottelig, wie er ist, mit seinem roten Flanellhemd und der grotesken Fellmütze auf dem Kopf, blickt der alte Lubitsch wohlwollend auf sein Kind hinab.
»Sag das noch mal!«, verlangt Gonzos Vater stolz.
»Wir sollten den Flüssiganzünder nehmen«, erklärt der juvenile Anarchist, »und ein Loch ins Eis brennen.«
Ma Lubitsch stößt ein leises Seufzen aus, aber irgendwo in der Matriarchin steckt noch immer ein atemloses kleines Groupie, das hoffnungslos in die wilden Augen und das wehende Haar (soweit noch vorhanden) ihres Gatten vernarrt ist. Deutlich strahlt sie aus, dass sie die Idee missbilligt, für überhaupt nicht klug hält und zudem keinerlei Verantwortung übernehmen wird. Aber sie will es unbedingt sehen und den Prinzen unter den Männern reich belohnen, der diese tollkühne Tat vollbringen mag.
Nachdem die stillschweigende Zustimmung eingeholt ist, werden meine namenlosen Sorgen einfach weggewischt, und der folgende Schlachtplan nimmt Gestalt an:
1. Es wird eine Stelle ausgesucht, nicht weiter als dreißig Meter vom Ufer entfernt, wo der Brandanschlag gefahrlos durchgeführt und wo später geangelt werden kann.
2. Der alte Lubitsch, und nur er allein, wird zu der vorbestimmten Stelle hinausgehen und das Material reichlich zur Anwendung bringen. Er wird dies tun, indem er
a) eine kleine Mulde aushebt,
b) dort hinein eine große Menge der entflammbaren Flüssigkeit kippt, ergänzt durch Holz und Brennmaterial, zu beschaffen aus dem Kofferraum des Autos und der näheren Umgebung,
c) mit ebendiesem Material eine Spur als Zündschnur bis zum Ufer legt, wo
3. wir ihn erwarten, bis er in Sicherheit ist, um
4. gemeinsam das Feuerwerk zu zünden.
Als das alles genauestens ausgeführt ist, geschieht etwas Eigenartiges und Schönes, aber ganz sicher nicht das, was wir beabsichtigt hatten.
Es beginnt wie geplant, eine helle Flamme schießt zielstrebig übers Eis bis zu dem größeren Reservoir, das der alte Lubitsch angelegt hat. Dieses
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