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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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stecken, zielen darauf, sich über das hässliche Gesicht des Gegners lustig zu machen und etwas zu erwähnen, von dem man gleichzeitig sagt, dass man nicht darüber reden will. Wir starrten ihn eine Weile an, bis sich sein Gesicht rötlich verfärbte und er den Mund schloss.
    »Sprengstoff«, meinte Gonzo schließlich, worauf Jim Hepsobah nickte.
    »Muss wohl sein«, stimmte Jim zu.
    »Ein Vakuum erzeugen?«
    »Ja.«
    »Wird das bei FOX überhaupt funktionieren?«
    »Sollte wohl gehen.«
    »Da brauchen wir aber einen richtig großen Rums«, sagte Annie der Ochse.
    »Oh – und ob«, bestätigte Gonzo.
    »Es darf ja danach nicht wieder Feuer fangen«, fuhr Annie fort. »Einen verdammt großen Rums. Können wir einen so großen Rums überhaupt hinkriegen?«
    Annie der Ochse hatte plumpe, kleine Finger, feiste Wangen, schmale, aber kräftige Schultern, muskulöse Unterarme und Schenkel und verstand eine Menge von Sprengstoff. In ihrer Freizeit sammelte sie Puppenköpfe. Schwer zu sagen, ob Annie sie sammelte, weil sie weiche, flauschige Freunde brauchte, mit denen sie reden konnte, oder ob es sich um die Gesichter von Menschen aus ihrem früheren Leben handelte, die entfernt worden waren. Ich hatte sie nie gefragt, weil es ihre Privatsache war, und Annie war nicht der Typ Mensch, der bereitwillig Fragen über Privatangelegenheiten beantwortete.
    Jetzt wartete sie auf eine Reaktion von Jim und Gonzo, die ihrerseits Sally ansahen. Sally wiederum wandte sich an Dickwash.
    »Ja«, erklärte Dickwash im Brustton der Überzeugung. »Das kann ich regeln.«
    Ich finde diese Bürotrottel immer etwas unheimlich. Alles, was über Typ E rangiert, gibt mir das Gefühl, mit jemandem zu reden, der nicht mehr ganz menschlich ist, und das ist nicht einmal völlig falsch. Ein Kerl namens Sebastian hat es mir mal folgendermaßen erklärt:
    Nehmen wir an, du bist der Kapitalist Alfred Montrose Weihnachtskeks. Dir gehört eine Fabrik, die mit riesigen Metallpressen die Förmchen für Weihnachtskekse stanzt. Gewaltige Schneiden werden von einer Hydraulik angetrieben und sausen auf ein Metallband herab (ähnlich wie eine riesige Rolle Klebeband, nur eben aus Metall) und schneiden die Förmchen aus dem Stahl, als wäre er Butter. Wenn du die Maschine mit einer Geschwindigkeit von hundert Förmchen pro Minute laufen lässt, also sechs Sekunden für jeweils zehn Stück, weil die Maschine immer zehn Stück auf einmal stanzt, dann verdienst du gut. Das Problem ist allerdings, dass du dieses Tempo nur theoretisch erreichst, weil du in der Praxis die Maschine immer wieder mal anhalten musst, um die Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen, und weil das Personal mit jeder Schicht wechselt. Jeder Wechsel kostet dich Geld, denn die Maschine wartet im Leerlauf, während vorübergehend beide Schichten da sind, die beide voll bezahlt werden müssen. Also willst du dafür sorgen, dass diese täglichen Ausfallzeiten auf das absolute Minimum reduziert werden. Das erreicht man aber nur, wenn man gerade eben noch Unfälle vermeidet. Natürlich werden immer wieder mal Unfälle passieren, weil die Menschen eben Mist bauen – sie bekommen Gelüste, denken an ihre Liebsten und stützen sich auf den großen roten Knopf, woraufhin irgendjemand einen Finger verliert. Also verringerst du die Zahl der Schichten von fünf auf vier und die Zahl der Sicherheitsprüfungen von zwei auf eine, und auf einmal bist du viel näher dran, mit deinen Keksförmchen zum Marktführer zu werden. Mrs Keksförmchen ist ganz aus dem Häuschen, weil sie eingeladen wird, beim Hausfrauenkongress zu sprechen, und die kleinen Keksförmchenkinder sind glücklich, weil ihr Daddy ihnen glänzendes neues Spielzeug mitbringt. Der Nachteil ist, dass die Arbeiter härter arbeiten und sich stärker konzentrieren müssen, und auch die Unfälle sind ein wenig schlimmer und geschehen ein wenig öfter. Das Problem ist, dass man das Rad nicht zurückdrehen kann, denn die Konkurrenz macht natürlich genau das Gleiche, und so ist der Keksförmchenmarkt ein bisschen aggressiver geworden, was auf die folgende Frage hinausläuft: Wie weit kann man die Grenze noch hinausschieben, ohne die Fabrik in einen Arbeitsplatz zu verwandeln, an dem niemand arbeiten will? Die Wahrheit ist, dass es ungelernte Arbeiter in deiner Gegend ziemlich schwer haben. Auf einmal, weil die Firma anders nicht überleben kann, leitet der gutmütige Alfred Keksförmchen die gefährlichste Fabrik mit dem schlechtesten Ruf in der ganzen

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