Die geprügelte Generation
das normal. Manchmal wendet sie sich direkt ans Jugendamt. »Es ist ein angstbesetztes Thema. Es ist letztlich ja nur ein Verdacht, den man ausspricht. Und die Vorstellung von der Konsequenz, wenn es sich als falsch herausstellt, und man das ausgesprochen hat, also ich habe das Gefühl, da würde ich ein Fass aufmachen, was vielleicht nach hinten losgeht.«
Ein Mädchen polnischer Herkunft hat neulich im Gesprächskreis, der immer Montagsmorgens stattfindet, erzählt, dass sie am Wochenende von ihrem Vater geschlagen wurde, weil der wieder betrunken war. »Das schilderte sie mit großer Selbstverständlichkeit. Die Reaktion der anderen Kinder war, ja, ja, das kennen wir. Die wirkten überhaupt nicht überrascht. Es war wie wenn jemand erzählen würde, ja wir waren am Wochenende im Zoo.«
Noch ist es nicht vorbei
»Es werden heute immer noch viele Kinder geschlagen«, sagt Claudia, die Kölner Kindertherapeutin, deren Vater seine Ohrfeigen so gerne bei Tisch austeilte. »Aus Hilflosigkeit, aus Unwissen. Aus Überforderung. Und es ist heute sehr schambesetzt bei den Kindern, weil die wissen, wenn das jemand sieht, das geht gegen die Eltern. Sie schämen sich für ihre eigenen Eltern. Für ihre unzulänglichen Eltern.«
Doch die Zeiten von Kopfnuss und Rute, Rohrstock, Lederriemen und Teppichklopfer sind vorbei. Wer sein Kind noch immer schlägt, hat nichts verstanden von dem, was längst überall propagiert wird: Gewalt bringt nichts, Fürsorge und Empathie in der Erziehung sind angesagt. Und wer sich hieran nicht hält, dem droht der Staatsanwalt.
Monika, die als Kind so häufig den nassen Aufnehmer ihrer Mutter um die Ohren geklatscht bekam, sah kürzlich auf der Straße mit an, wie eine Frau ihr vierjähriges Kind schlug. Doch bevor sie einschreiten konnte, baute sich schon ein Passant vor dieser Frau auf und sagte: »Wissen Sie, dass das strafbar ist, was Sie hier machen?« Eine andere Passantin, die das Geschehen auch mitbekommen hatte, drohte der prügelnden Frau, wenn sie nicht sofort aufhöre, dann würde sie sie anzeigen. »Das fand ich ganz toll«, sagt Monika. Auch letztens in der Bahn, als eine Frau einem kleinen Kind eine Ohrfeige gab, stand jemand auf und sagte, das könne sie nicht machen, das sei verboten. Monika ist froh darüber, dass Menschen so reagieren, dass Kinder die Möglichkeit haben, sich in der Not ans Jugendamt zu wenden. »Also mir hätte das damals viel geholfen, wenn ich hätte sagen können, hört auf damit oder ich gehe zum Jugendamt. Dann werdet ihr schon sehen! Dann seid ihr aber dran!«
17. Kapitel
SCHLUG DIE JUSTIZ KRÄFTIG MIT
Die Justiz hat gewalttätigen Eltern oft den Rücken gestärkt, hat ihnen ausdrücklich erlaubt, ihre Kinder zu schlagen, hat prügelnden Vätern den Rohrstock quasi in die Hand gedrückt. Der Gesetzgebung ist es zu verdanken, dass sich Eltern – vor allem aber Väter – im Recht fühlten, wenn sie nach Kochlöffel oder Gürtel griffen und damit das Hinterteil ihrer Kinder versohlten. Ich habe eine kleine Auflistung darüber zusammengestellt, wie sehr die Justiz den Zeitgeist bediente, ihn unterstützte, aber auch hinter ihm herhinkte. Die Juristin und Kinderschutzexpertin Lore Peschel-Gutzeit hat die gesetzlichen Entwicklungen auf meine Bitte hin kommentiert und interpretiert:
1758 erlaubte der bayerische Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis dem Ehemann, seine Frau zu züchtigen. Und zwar »nötigenfalls mit Mäßigkeit«. Ein Recht, das seit 1. 1. 1900 mit der offiziellen Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zwar von Gerichten nicht mehr angewendet worden war, das aber erst 1947 aufgehoben wurde.
1896 entstand die ursprüngliche Fassung des § 1631 Abs. 2 BGB, die da lautete: »
Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.
« Man beachte: Das Züchtigungsrecht hat der Vater, der als Familienoberhaupt galt. Dies galt, bis 1958 das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft trat.
1900 wurde mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches das Züchtigungsrecht des Dienstherrn gegenüber seinem erwachsenen Gesinde abgeschafft. Das Züchtigungsrecht gegenüber seinen minderjährigen Mägden und Knechten blieb weiterhin bestehen. Die preußische Gemeindeordnung erlaubte noch bis 1918 die Züchtigung von Gesinde durch ihre Herrschaft. Die Züchtigungserlaubnisdes Vaters seinem Kind
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