Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
Vom Netzwerk:
gegenüber wurde übernommen.
    1947 wurde das Recht des Ehemannes, die Ehefrau zu züchtigen, aufgehoben.
    1949 verbot die DDR offiziell Körperstrafen an Schulen.
    1951 wurde das Recht des Lehrherrn zur »väterlichen Zucht« der Lehrlinge aufgehoben. Bis dahin hatte § 127a der Gewerbeordnung dem Lehrherrn dies ausdrücklich noch zugestanden. Inzwischen verbietet § 31 des Jugendarbeitsschutzgesetzes die Züchtigung von Auszubildenden.
    1958 trat das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, §1627 BGB; zeitgleich wurde der §1631 BGB, in dem das Züchtigungsrecht dem Vater eingeräumt worden war (
Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden …
), in seiner alten Fassung gestrichen. Von nun an hieß es: »
Die Sorge für die Person des Kindes umfasst das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen«.
Dies galt bis 1980.
    »Diese Gesetzesänderung erfolgte jedoch nicht etwa, um Kinder vor der Gewalt des Vaters zu schützen. Vielmehr stellte das alleinige väterliche Züchtigungsrecht einen Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz von Mann und Frau in Artikel 3 Grundgesetz dar. Und der Ehefrau und Mutter mochte der Gesetzgeber dann doch kein eigenes Züchtigungsrecht einräumen«, erläuterte mir die Juristin und Kinderrechtsexpertin Lore Maria Peschel-Gutzeit die damaligen Beweggründe. »Denn ihm, dem Patriarchen der Familie, schrieb das Gesetz bis dahin eine Art ›Alleinherrschaft‹ zu. Diese erstreckte sich nicht nur auf die Kinder sondern auch auf die Ehefrau«, so Peschel-Gutzeit. Mit der Gesetzesänderung von 1958 sind zwar die Zeiten des »pater familias« vorbei. Doch obwohl das Züchtigungsrecht des Vaters nun nirgendwo mehr schriftlich verbrieft war, galt es gewohnheitsrechtlich weiter. Was dem gesellschaftlichen Bewusstsein der damaligen Zeit voll und ganz entsprach.
    1959 hob das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe das Vorrecht des Vaters bei der Kindererziehung endgültig auf. Bis dahin sah das Bürgerliche Gesetzbuch vor, dass Eltern die elterliche Gewalt in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes ausüben. Doch das Gesetz hatte zwei Haken: Konnten sich die Eltern nicht einigen, entschied laut § 1628 noch immer der Vater. Auch die gesetzliche Vertretung des Kindes war Sache des Vaters, so § 1629. Damit fiel die Gesetzgebung – beklagte damals das Bundesverfassungsgericht – hinter das Grundgesetz zurück, denn sie lasse sich mit dessen Gleichheitsgebot nicht in Einklang bringen.
    Der damalige Bundesjustizminister Fritz Schäffer sah das anders: Er wies auf die »objektiven biologischen und funktionalen Unterschiede von Mann und Frau« hin und meinte, der Gesetzgeber habe sich für den Vater als Familienoberhaupt entschieden, weil dies den tatsächlichen Gepflogenheiten in den meisten Familien entspreche. Mit Blick auf die Vergangenheit hatte er durchaus recht.
    1965 hatte ein Amtsrichter in Braunschweig erstmals in Deutschland per Gerichtsurteil einem Lehrer klar gemacht, dass das Schlagen eines Schülers eine Körperverletzung darstelle und damit verboten sei. Bis dahin hatten sich die Lehrer auf ein Gewohnheitsrecht berufen. Dieser Urteilsspruch ging durch alle Instanzen, bis der Bundesgerichtshof ihn zwei Jahre später, 1967, bestätigte. Damit stand fest: Schläge, selbst die Ohrfeige, sind als Erziehungsinstrument in der Schule, durch Pfarrer oder durch Erzieher in öffentlichen Einrichtungen verboten.
    1968 verkündete das Bundesverfassungsgericht in einer geradezu bahnbrechenden Entscheidung, dass das in Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes verankerte »Elternrecht« von nun an ausschließlich als »Elternverantwortung« verstanden werden müsse. Den Eltern wurde die Pflicht auferlegt, ihre Erziehungsgewalt oder vielmehr ihre Verantwortung allein zum Wohle des Kindes auszuüben. Denn das Kind sei auf den Schutz und die Hilfe der Elternangewiesen, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gesellschaft entwickeln zu können. Zum ersten Mal wurde vom obersten Gericht festgelegt, dass ein Kind, sollten Eltern ihrem Erziehungsauftrag zu seinem Wohle nicht nachkommen können, einen eigenen Anspruch auf Schutz durch den Staat habe.
    Die wirkliche Neuerung damals war nach Einschätzung von Lore Maria Peschel-Gutzeit die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, »dass das Kind ein Grundrechtsträger ist, der eine

Weitere Kostenlose Bücher