Die geraubte Braut
wie geht es ihr?«
Als Josiah sich ernst übers Kinn strich, bekam Rufus es mit der Angst zu tun. »Was ist? Geht es ihr gut?«
»Das schon, Mylord. So gut, wie unter den Umständen zu erwarten«, antwortete Josiah gemessen. »Aber sie braucht Bewegung … hin und wieder einen Spaziergang am Flussufer. Und ich hatte keine Order, sie …« Er sah Rufus fragend an.
In den schrecklichen Abgründen seines Schmerzes hatte Rufus alle Bilder von Portia gelöscht, da er sie sich nicht mehr als Person vergegenwärtigen wollte. Nun aber sah er sie wieder in ihrer warmherzigen und rastlosen Lebhaftigkeit vor sich. Langbeinig, energisch, mit wirrem, leuchtendem Haar, die schrägen grünen Katzenaugen voller Lachen, Witz und Klugheit. Wenn er sich ihre Haft vorstellte, die schreckliche Untätigkeit, die Stunden der Langeweile, schauderte ihn.
Fünf Minuten das Flussufer entlang, und er könnte sie in den Armen halten.
Doch dann dachte er daran, was sie ihm angetan hatte, und die Verbitterung erfasste ihn wie ein Geschwür, das sich in sein Gedächtnis fraß und alle Milde tilgte.
»Die jungen sollen nicht wissen, dass sie hier ist. Sobald Bill die Kinder weggebracht hat und wir am Morgen ausgerückt sind, kannst du ihr die Freiheit geben«, knurrte er. »Sag ihr, dass ich sie bei meiner Rückkehr nicht mehr vorfinden will.« Mit einer brüsken Handbewegung ging er an Josiah vorbei und die Treppe hinauf.
Der Alte hörte seine Schritte auf den Holzdielen, ziellos, als liefe er auf und ab, weil er keine Ruhe fand. Josiah hatte den Schmerz in seiner Miene gelesen, jenen Schmerz, den er in den letzten Wochen oft bei Portia gesehen hatte. Kein Zweifel, diese beiden machten einander aus irgendeinem Grund sehr unglücklich … aus einem Grund, der die Qualen nicht wert war, wie Josiah aus lebenslanger Erfahrung wusste. Außerdem erwartete Portia ein Kind. Wenn Rufus das Mädchen endgültig verstieß, wie es seine Absicht zu sein schien, würde er nie davon erfahren.
Mit einem entschlossenen Kopfschütteln ging Josiah hinaus. Die Kinder hockten auf der Erde und zeichneten mit Stöckchen ein Linienmuster in die Erde. Als Josiah aus dem Haus trat und sie ihn ansahen, wich die aufblitzende Hoffnung in den zwei blauen Augenpaaren sofort einer so tiefen Enttäuschung, dass es Josiah sein altes Herz fast im Leib umdrehte. »Na, wollt ihr mitkommen und mir helfen, den Honig aus den Bienenstöcken zu holen?«
Es war eine Aufforderung, die sie früher in einen wahren Freudentaumel versetzt hätte. Nun aber folgten sie ihm nur in lustlosem Schweigen und mit schleppenden Füßen.
Portia verbrachte die langen Stunden des Tages, indem sie dem Lärm lauschte, der gedämpft durch das hohe, vergitterte Fenster ihrer Zelle drang. Pfeifen, Trommelwirbel, Marschtritte, laute Kommandorufe. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, dass etwas Sonderbares in der Luft lag. In den Geräuschen der Armee, die sich offensichtlich für einen Kampf rüstete, schienen Angst und Nervosität mitzuschwingen.
Stundenlang lief sie in ihrer Zelle unter Junos aufmerksamen Blicken auf und ab, wobei sie angestrengt auf Schritte von draußen lauschte. Sie wusste, sie würde sein Kommen schon von weitem spüren, und die Hoffnung verließ sie nicht bis nach Mittag. Erst dann wusste sie, dass sie vergebens wartete. Er würde in den Kampf ziehen, ohne sie aufzusuchen. Ohne ein Wort der Versöhnung würde er dem Tod ins Auge sehen und sie verlassen, so dass sie den Rest ihres Lebens die Last dieser zerstörten Beziehung tragen musste, das Wissen, dass er in den Tod gegangen war und sie gehasst und für eine Verräterin gehalten hatte.
Während sie nun auf Josiah wartete, kämpfte sie in finsterem Schweigen gegen die Tränen an. Der Nachmittag war schon zur Hälfte vergangen, ehe sich die Tür öffnete und der Alte eintrat, schwer atmend, als sei er gelaufen.
»Herr im Himmel, was für einen Wirbel wir heute haben.« Er stellte ein zugedecktes Körbchen auf den Tisch. »Hoffentlich habt Ihr nicht geglaubt, ich hätte Euch vergessen.« Er sperrte Portias Zellentür auf. Sofort fielen ihm ihre Blässe, ihr trauriger Mund und die von ungewohnten Tränen glänzenden Augen auf.
»Nein, das dachte ich nicht.« Portia trat hinaus in den größeren Raum, als Juno auch schon schweifwedelnd zur Tür rannte. »Was tut sich im Dorf?«
Josiah ließ Juno hinaus, dann drehte er sich um und packte den Korb aus. »Ach, was sich beim Militär immer tut … Leute marschieren hin und her und
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