Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
es sie, dass mancher Schmeichler in Wirklichkeit ganz anders dachte. Jener Mann, der unablässig die Vorzüge germanischer Soldaten pries, schimpfte insgeheim die Deutschen als kulturlos, ihr Essen sei übel, das Wetter entsetzlich. Solcherlei Herablassungen stachelten den Patriotismus erst recht an – immer die Germanen im Blick und ihre Lichtgestalt Arminius. Schließlich, so der Dichter Heinrich Bebel zu Beginn des 16. Jahrhunderts, seien die Deutschen sich seit alters her immer treu geblieben, als freies, unabhängiges Volk. »Macht euch, deutsche Männer, die Sinnesart eurer Ahnen zu eigen«, beschwor zur selben Zeit Conrad Celtis, ein einflussreicher Intellektueller, seine Landsleute. »Wendet eure Augen zu den Bastionen Deutschlands und fügt seine zerrissenen und auseinandergezogenen Grenzen wieder zusammen« – Deutschland, eine Nation. Das war der Traum.
Der Germane hatte seinen Platz gefunden im Bewusstsein der Bildungselite, schnell war die Gleichung germanisch = deutsch da, weil die taciteischen Darstellungen die Vordenker geradezu aufriefen, mit deren Hilfe »die Wesenszüge ihres Volkes zu bestimmen«, formuliert die Historikerin Stefanie Dick. Also war es auch an der Zeit, den Namen des Urhelden Arminius einzudeutschen; jetzt hieß er Hermann. Es könnte sein, dass Martin Luther dafür sorgte. »Wenn ich ein poet wer«, schrieb er jedenfalls über Arminius, »so wolt ich den celebriren. Ich hab in von hertzen lib. Hat Hertzog Herman geheißen.«
Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts schätzten ihn, aber sie begeisterten sich letztlich nicht so richtig für Hermann und die Germanen – auch nicht die späteren Größen Friedrich Schiller oder Gotthold Ephraim Lessing oder Johann Wolfgang von Goethe. In »Dichtung und Wahrheit« schrieb Goethe: »Warum hätte mich … bewegen sollen, Wodan für Jupiter und Thor für Mars zu setzen und statt der südlichen genau umschriebenen Figuren, Nebelbilder, ja bloße Wortklänge in meinen Dichtungen einzuführen?« Seinem Vertrauten Johann Peter Eckermann sagte er, ein Kerl wie Hermann liege »zu entfernt, niemand hat dazu ein Verhältnis, niemand weiß, was er damit machen soll«. Aber Goethe täuschte sich schwer, denn Hermann der Cherusker, der Germane, spielte eine ganz wichtige Rolle, lange bevor ihm auf der Grotenburg im Teutoburger Wald ein Denkmal gesetzt wurde – als nämlich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts das deutsche Bürgertum auf der Suche nach einer nationalen Identität war, wieder einmal.
Das Reich zerrissen, Kleinstaaterei, nur aufs eigene Wohl bedachte Landesherren, politische Lähmung: In dieser Phase deutete ausgerechnet ein Franzose, der Jurist und Philosoph Montesquieu, die »Germania« als den Entwurf einer freien Gesellschaft. »Dieses schöne System ist in den Wäldern erfunden worden«, den germanischen. Seine Informationen bezog er aus dem »trefflichen Werk des Tacitus«. Montesquieu verstieg sich gar zu der schrägen These, die »Sitten der Germanen« hätten die Engländer angeregt, eine spezielle Form der Demokratie einzuführen. Und Montesquieu meinte, zu einer Nation gehöre unabdingbar ein Nationalheld. Einer wie Arminius eben.
Montesquieu begeisterte mit seinem Hauptwerk »Vom Geist der Gesetze« die Zeitgenossen – es sei ein »Meisterstück«, das verdiene, »nicht durchgelesen, sondern durchgedacht zu werden«, bemerkte einer seiner Anhänger. Vielen wurde bewusst, dass es falsch war, sich beständig an anderen Nationen, wie Frankreich beispielsweise, zu orientieren. Also begann eine intensive Auseinandersetzung um Herkunft, Charakter, um Identität, das Stichwort heißt: Nationalgeist-Diskussion. Dem Germanentum wuchs dabei eine ganz besondere Bedeutung zu, »indem es zum identitätsstiftenden Bezugspunkt für das im Entstehen begriffene deutsche Nationalbewusstsein wurde«, schreibt Stefanie Dick.
In seinen »Reden an die deutsche Nation« bejubelte der Philosoph Johann Gottlieb Fichte die Germanen, weil »wir, die nächsten Erben ihres Bodens, ihrer Sprache und ihrer Gesinnung, ihnen verdanken, dass wir noch Deutsche sind«. Und der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt formulierte: »An der Schlacht im Teutoburger Wald hing das Schicksal der Welt, darum ist Hermann Weltname geworden; er ist … etwas Ewiges und Wirkliches, weil … ohne ihn vielleicht seit sechzehnhunderten Jahren kein Teutsch gesprochen sein würde.« Arndt sagte noch etwas anderes. Ein »edles und vorzügliches Geschlecht« könne nur entstehen
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