Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Amateuranthropologe Joseph Arthur de Gobineau formulierte. Und Nichtarier, die Untermenschen.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Niederlage, die die allermeisten Deutschen als ganz große Schmach empfanden, konnte deren Seelen und deren arg ramponiertem Selbstbewusstsein nur eines helfen: der Blick zurück. Auf germanische Tugenden, auf germanische Tapferkeit, und dabei war es dienlich, bei Gobineau nachzuschlagen und bei Chamberlain. So manifestierte sich ein durch biologistische und rassistische Elemente angereichertes Germanenbild, das schließlich den NS-Faschismus vorantrieb: arische Rasse, Blut-und Boden-Ideologie, Führerprinzip. Zwar teilte Hitler nicht die Germanenbegeisterung seiner Untertanen – weil ihm, dem Machtmenschen, Freiheitskämpfer wie Arminius suspekt erscheinen mussten; da war ihm Karl der Große lieber. Dennoch, Hitler war natürlich auch überzeugt, dass die germanische Rasse allen anderen Rassen überlegen sei, deshalb auch ließ er 1940 in der Reichskanzlei acht riesige Gobelins aufhängen, die die siegreichen Schlachten deutscher Soldaten dokumentierten. Ganz am Anfang: die Varusschlacht.
Im Hitler-Reich hätten die taciteischen Fiktionen als »Blaupause für nazideutsche Wirklichkeit« gedient, sagt der Altphilologe Christopher B.Krebs. Als Inspiration für Politik und Gesetze – etwa die Nürnberger Rassengesetze von 1935, die eine »Blutvermischung« verhindern sollten. Kein Wunder, dass ein Kommando der SS 1943 in Jesi versuchte, die »Germania« als Beweisstück für eine blendende Vergangenheit in einer Gewaltaktion »heim ins Reich« zu holen, ohne Erfolg. Sie wird bis heute in der römischen Biblioteca Nazionale aufbewahrt. Kein Wunder auch, dass Rechtsextremisten dieser Zeiten abheben auf die alten Zeiten. Über seine Zuhörer sagt ein brauner Liedermacher: »Sie sollen ihre germanischen Wurzeln wiederfinden. Und wer seine Wurzeln und damit sich selbst findet, der muss automatisch ein Feind des aktuellen Systems sein.«
Aber es verwundert, dass ein Mann wie der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll in einem Essay für die »Zeit« jedem Deutschen empfahl, doch einmal in der »Germania« zu blättern. Schließlich gebe sie, schrieb der Kölner, »eine der ältesten, wenn nicht die älteste Auskunft über unsere Vorfahren«. Nichts davon ist wahr. Schriftsteller Tacitus hat die Germanen beschrieben, die er brauchte.
»Cäsar hat die Germanen erfunden«
Der Althistoriker Mischa Meier über die vergebliche Suche nach dem Wesen der nordischen Völker, Spionage am Limes und die Integration der einstigen Gegner ins Römische Reich.
Das Gespräch führten die Redakteure Norbert F. Pötzl und Johannes Saltzwedel.
SPIEGEL: Professor Meier, gab es die Germanen überhaupt?
Meier : Schwierige Frage. Es gibt Menschen, die Germanen genannt wurden und werden, aber entscheidend ist, aus welcher Perspektive das geschieht: Ist ein Sprachverband gemeint, oder sind es Leute, die in einem Gebiet wohnen, das als Germanien bezeichnet wurde? Nennen sie selbst sich so, oder werden sie von anderen so genannt?
SPIEGEL: Wer hat den Namen denn erfunden?
Meier : Auch das ist nicht klar. Niemand hat plausibel erklären können, woher das Wort »Germane« stammt. Man hat es aus keltischen, germanischen oder lateinischen Sprachwurzeln herleiten wollen, aber kein Versuch hat wirklich überzeugt.
SPIEGEL: Immerhin war es ja wohl zuerst der griechische Wissenschaftler Poseidonios, der von Germanen gesprochen hat, oder?
Meier : Ja – früher liegt nur Ende des 3. Jahrhunderts vor Christus eine kalendarische Inschrift, in der ein römischer Feldherr namens Marcellus erwähnt wird, der »Gallier und Germanen« besiegt haben soll. Ziemlich wahrscheinlich aber wurde der Name an dieser Stelle erst viel später, zur Zeit des Augustus, aus politischen Gründen eingefügt.
SPIEGEL: So viel Zweifel über einen so alten Begriff – vor allem einen, der jahrhundertelang von der Aura urzeitlich-heldischer Größe umgeben war. Wie konnte das passieren?
Meier : Bis 1945 hatte man relativ klare Vorstellungen über die Germanen, wo sie hingehören und wo sie herkommen. Die beruhten aber auf ganz wenigen wirklichen Informationen. Man verließ sich darauf, dass die Germanen eine geschlossene Kultur und Denkart entwickelt hätten, die sich kontinuierlich über lange Zeiträume bis ins Mittelalter durchgehalten habe. Das Wesen dieses Germanentums, das, wie es schien, auf Freiheit, Ehre,
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