Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
einer trockenen, etwas klirrenden Stimme und ohne den Schatten eines Lächelns um die schmalen Lippen:
„Es freut mich, in euch die künftigen Kollegen meiner Tochter zu begrüßen. Da ich weder an euern mir von Herrn Werner vorzüglich geschilderten Wandeltugenden noch an der Trefflichkeit eures Kunsteifers zweifle und ich hinwiederum den Fleiß und die Aufmerksamkeit meiner Tochter kenne, bin ich überzeugt, daß sich die Zusammenarbeit durch gegenseitige Nacheiferung aufs ersprießlichste gestalten wird.“
Dann wandte er sich mit einem kleinen, mehr erledigenden als grüßenden Kopfnicken von den Jünglingen weg Herrn Werner zu, der die beiden Gäste unter höflichen Scharringeln 8 ins Nebengemach führte.
„Der Antik ist nicht kommod,“ kicherte einer der Schüler, „da will ich noch lieber unsern Hach 9 !“
„Ja,“ meinte ein anderer und zupfte heftig an den kurzen Ärmeln seines verwachsenen Wamses, „aber sie — auf der Plattform etwan — wann sie da mit andern spazieren wollt als mit uns, das geben wir nicht zu!“
Giulio sah groß vor sich hin: „Augen hat die, Augen …“ Und er schüttelte den Kopf wie über einem Rätsel.
Nur Christoph und Lux schwiegen. Jener starrte die Türe an, die sich hinter den drei geschlossen hatte, und das Staunen öffnete alles in seinem Gesicht, daß es schier entsetzt aussah. Der stolze Lukas aber war wieder an seiner Arbeit, als ob es ihn nichts anging, das Wispern und Wundern rings.
Drüben sahen sich die Zürcher Gäste überrascht in dem kleinen Gemach um, allwo Bilder, Stiche und Statuen sich reichgehäuft vorfanden.
„Ihr seht hier das Zimmer,“ erklärte Herr Werner, „wo meine Schüler zu Winterszeit des Nachts bei Licht Akademien halten und fürnehmlich nach alten gipsenen römischen und griechischen Modellen zu zeichnen pflegen. Der Raum hält die Wärme länger zusammen als die luftige Malstube und läßt sich durch diese Lampe meiner Invention wohl erhellen.“ Dabei wies er nicht ohne Stolz auf eine sonderbar geformte, an der Decke befestigte Messinglampe, deren sinnreiche Konstruktion der Amtmann mit Bewunderung und vielem Lob für den Erfinder betrachtete. Dann aber wandte man sich den aufgestapelten Kunstschätzen zu, die Herr Waser mit wachsendem Staunen betrachtete.
„Ich wundere mich,“ rief er aus, „in dem Atelier des verrühmten Miniaturmalers vorzüglich umfangreiche Bilder und Modelle für die Schüler zu finden, da ich doch glaubte, daß hier die Muse der zierlichsten Malerei allein herrsche.“
Herr Werner wiegte sein lockenbeschwertes Haupt und strich unterschiedene Male über sein zierliches Schnurrbärtchen, als ob er ein gewichtig Wort auf der Zunge formte. „Die Miniatur, hochmögender Herr,“ hub er dann feierlich an, „ist kein Anfang, sondern ein Ziel, sintemal es der feinsten und beachtlichsten Kunst benötigt, um im kleinsten Rahmen das sagen zu können, wozu andere ganzer Mauern bedürfen, solche man nur mit halsverdrehendem Staunen betrachten kann. Der Weg aber, der zu dieser Kunst führt, in der ich — mit Verlaub — recht eigentlich den Ausdruck unserer gebildeten Neuzeit erblicken möchte, deren Privilegium es ist, die Schönheit des Zierlichen und die Größe des Kleinen entdeckt zu haben, dieser Weg hebt bei den umfänglichen Flächen und großen Linien an. Der Anfänger in der edeln Malerkunst muß eben zuerst in großen Gebärden sich genugtun können, nicht anders als ein klein Kind, das auch nicht zierlich und wohlanständig zur Welt kommt, sondern sich zunächst mit übelm Geschrei und Strampeln vernehmlich macht. Aber wie eine treffliche Mutter die übeln Gewohnheiten des Kindes bald zu löblichen Tugenden und guten Sitten zu wandeln weiß, so ist es auch mein redliches Bemühen, die angeborene Neigung zu befördern und auf sichere Wege zu bringen. Meine Unterweisungsart, edler Herr, ist keine wie bisher gebräuchliche Phantasterei, man findet bei mir Richtschnuren und gründliche Lehrsätze nach den Regeln der freien Künste und nicht aus Einbildungen und Mutmaßungen. Aber erst dann, wann der Lehrjünger alle Malerkunstrichtigkeiten erfaßt hat, ist er auch würdig, sich der fürnehmsten, adeligsten Kunst zuzuwenden, als welche ich die edle Miniatur betrachtet haben möchte.“
Herr Werner hielt inne und beobachtete mit Befriedigung den Eindruck, den seine Rede auf die beiden gemacht hatte, freute sich über das beifällige Kopfnicken des Amtmanns und die andächtige Begeisterung, die sich
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