Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
in Annas Augen malte.
Bedachtsam nahm Herr Waser das Wort auf: „ Optime dictum 10 , Herr Werner! Auch ich möchte keine Kunst über die edle Miniatur setzen, die mir gleichsam wie eine Leibwerdung aller feinen und zarten Tugenden vorkommt, weilen — wie mir scheint — kein roher oder übelgesitteter Mensch dergleichen mit ungeschlachten Fingern hervorzubringen vermöchte. Es ist deshalb auch mein besonderes Anliegen und Herzenswunsch, daß meine Tochter einst in dieser feinsten Kunst, wenn vielleicht auch nicht exzellieren, so doch ein Treffliches leisten möge.“
„Sie soll exzellieren, sie soll exzellieren!“ rief Herr Werner mit Emphase und griff nach Annas schlanker Hand: „Wer sollte der zarten Kunst Meister werden, wenn nicht diese feinen, zierlich gespitzten Finger, die schon so früh und so glücklich nach dem Pinsel griffen? Freilich, Zeit muß man ihr lassen, Herr Amtmann, und vorerst müssen auch diese zarten Händ an Rötel 11 und Kohle sich färben, ehe sie den Silberstift und kleinsten Pinsel führen dürfen, muß mir doch selbst Giulio, der als Maler schon etliches geleistet, mit der Zeichenkunst neu beginnen, dieweil sein fremdartiger und passionierter Pinsel einer Zügelung nicht entraten kann.“
Indes hatte Anna verlegen ihre vor Erregung feuchten Finger aus den festen Händen des Meisters befreit. Über dem unerwarteten Lob war ihr das Blut in Bewegung geraten, und eine kindliche Freude übergoß das heiße Gesicht mit einem rührenden Glanze, den Herr Werner nicht ohne Genugtuung gewahrte. Mit klugen und anschaulichen Worten stellte er dann den beiden seine Kunstschätze dar und öffnete schließlich vor den entzückten Augen des Amtmanns eine sorgfältig verschlossene Truhe, darin er seine feinsten Miniaturen aufbewahrte sowie eine Sammlung von Geschenken und Auszeichnungen, die er einst aus den Händen römischer Kardinäle und deutscher wie welscher Fürsten empfangen hatte.
Mit kostenden Kennerblicken betrachtete Herr Waser die Medaillen mit den Bildnissen des Kaisers, des pfälzischen Kurfürsten und des großen Königs und ließ wohlgefällig die künstlich gearbeiteten Goldketten durch die blassen Finger gleiten. Anna aber griff plötzlich mit einem kleinen überraschten Jubel nach einer in hellen und lieblichen Farben gehaltenen Miniatur.
„Vater, glaubt Ihr nicht, den alten Pfarrhausbrunnen von Rüti zu sehen!“ rief sie mit seltsamer Bewegung in der Stimme, während sie dem Amtmann das feinste Kunstwerk unter die Augen hielt, das eine am Brunnen ausruhende Diana darstellte.
„Phantastin,“ lächelte dieser, „hier sehe ich eine herrliche antike Fontäne, welche die Kunst des Malers, eben unseres trefflichen Herrn Werner, mit allen Schönheiten einer arkadischen Landschaft umgeben hat; der Rütibrunnen aber war in Wahrheit nichts anderes als ein grauer und vermooster Stock unter einem hängenden Weidenbaum.“
Aber Anna schüttelte den Kopf: „Ihr habt eben den Brunnen nicht gekannt, Vater, Ihr seid nicht wie ich halbe Täg unter der Weide gesessen und habt geschaut, wie die Sonne mit dem Weidenlaub ein golden und grün Gespinst durch die Luft zog, während das Wasser sein unablässig zart und eintönig Lied sang; ansonst würdet Ihr sehen müssen, wie dieser grün verhängte Brunnen hier jenem ähnlich sieht.“
Abermals lachte der Amtmann und erwiderte, nicht ohne einen verweisenden Ton in der Stimme: „Fürwahr, dem Amtmann von Rüti fehlte die Zeit, halbe Tage unter einem Weidenbaum zu sitzen, dazu hatte ich damalen mit meinen vielen wichtigen und gefährlichen Geschäften zuviel Werg an der Kunkel; aber freilich fehlt es mir auch an der übertriebenen Einbildungskraft, um aus einem alten Brunnen ein Arkadien zu machen!“
Herr Werner machte runde Augen: „Die Einbildungskraft, Herr Waser, mag einer fürsichtigen, genauen und bedachtsamen Staatsperson wenig nütze sein; aber für einen Kunstjünger ist sie eine notwendige und über die Maßen kostbare Fähigkeit, ohne die der Maler nur ein armer Kopiste der Natur bleiben und niemalen dazu kommen wird, den kunstreichen Sinn auch zum Erfinden der Geschichten und Gedichten grundrichtig zu gebrauchen. Der wahre Künstler muß — wann ich mich in diesem Sinne Eurer Worte bedienen darf — wohl imstande sein, wenn auch nicht aus einem Brunnenstock, so doch aus einem Weidenbaum ein Arkadien zu erschaffen.“
Damit war Herr Werner auf einem Gebiete angelangt, wo ihm die Worte nicht leicht ausgingen und ihm die
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