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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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tierischer Triebhaftigkeit gestrafte moralische Wesen zu sein» –, verfällt Jacob in eine Klage, die sich ekstatisch, aus einem Guss, ununterbrochen über fünf Seiten erstreckt. Ein unvergleichliches Stück zeitgenössischer Literatur, «glühend und quälend» wie kaum ein anderes, schrieb das Time Magazine .
Das Heilmittel brachte Moritz nicht nur eine Flut von Lobeshymnen und den National Book Award ein, sondern machte seinen Namen zu einem Begriff. Im ersten Jahr erreichte es eine Auflage von 200   000 verkauften Exemplaren und war ein New-York-Times- Bestseller .
Das Folgewerk wurde mit Spannung erwartet, aber als fünf Jahre später endlich der Erzählband Glashäuser erschien, stieß er auf gemischte Reaktionen. Während manche Kritiker darin einen kühnen, innovativen, gänzlich neuen Ansatz sahen, hielten andere, wie Morton Levy, der in Commentary eine vernichtende Kritik schrieb, die Sammlung für misslungen. «Der Autor», so Levy wörtlich, «dessen Debütroman von eschatologischen Spekulationen getragen war, verfällt hier in eine reine Betrachtung des Obszönen.» In einem abgehackten, manchmal surrealen Stil geschrieben, reicht das Spektrum der Erzählungen in Glashäuser vom Engel bis zum Müllmann.
Isaac Moritz ließ es sich nicht nehmen, in seinem dritten Buch, Sing , eine nochmals neue Stimme zu erfinden, eine gestraffte Sprache, «stramm wie eine Trommel», hieß es in der New York Times . Obwohl er die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten auch in seinen beiden jüngsten Romanen fortsetzte, ziehen sich die Themen, denen er sich widmete, wie ein roter Faden durch sein Werk. Seine Kunst beruhte auf einem leidenschaftlichen Humanismus und dem unbeirrten Forschen nach dem Verhältnis des Menschen zu seinem Gott.
Isaac Moritz hinterlässt einen Bruder, Bernard Moritz.
     
    Benommen saß ich da. Ich dachte an meinen kleinen Sohn, sein fünf Jahre altes Gesicht. Auch an die Zeit, als ich ihn von der anderen Straßenseite aus die Schnürsenkel zubinden sah. Schließlich kam ein Starbucks-Angestellter mit einem Ring in der Augenbraue auf mich zu. Wir schließen , sagte er. Ich sah mich um. Tatsächlich. Alle waren weg. Ein Mädchen mit lackierten Fingernägeln zog einen Besen über den Fußboden. Ich stand auf. Oder ich versuchte aufzustehen, aber meine Knie knickten unter mir ein. Der Starbucks-Angestellte sah mich an, als wäre ich ein Kakerlak im Brownie-Teig. Der Pappbecher in meiner Hand war zu einer feuchten Breimasse zerquetscht. Ich gab sie ihm und setzte mich in Bewegung. Dann fiel mir die Zeitung ein. Der Angestellte hatte sie schon in die Mülltonne geworfen, die er über den Boden rollte. Ich fischte sie heraus, beschmiert, wie sie war, mit Danish-Resten, während er zusah. Weil ich kein Bettler bin, gab ich ihm die Karten für Dudu Fisher.
    Ich weiß nicht, wie ich nach Hause gekommen bin. Bruno muss mich beim Türaufschließen gehört haben, denn eine Minute später kam er runter und klopfte. Ich antwortete nicht. Ich saß im Dunkeln auf dem Stuhl am Fenster. Er klopfte weiter. Schließlich hörte ich ihn raufgehen. Eine Stunde verging oder mehr, dann hörte ich ihn wieder auf der Treppe. Er schob ein Stück Papier unter der Tür durch. DAS LEBEN IST WUNDEVOLL stand darauf. Ich schob es nach draußen zurück. Er schob es wieder rein. Ich schob es raus, er schob es rein. Raus, rein, raus, rein. Ich starrte es an. DAS LEBEN IST WUNDEVOLL. Ich dachte: Vielleicht ist es das. Vielleicht ist dies das Wort für das Leben. Ich hörte Bruno hinter der Tür atmen. Ich suchte einen Stift. Kritzelte: UND EIN EWIGER WITZ. Ich schob es unter der Tür zurück. Pause, während er las. Dann zog er befriedigt ab nach oben.
    Schon möglich, dass ich weinte. Was macht das für einen Unterschied?
    Kurz vor dem Morgengrauen schlief ich ein. Ich träumte, ich stünde auf einem Bahnsteig. Der Zug fuhr ein, und mein Vater stieg aus. Er trug einen Kamelhaarmantel. Ich rannte zu ihm. Er erkannte mich nicht. Ich sagte ihm, wer ich war. Er schüttelte verneinend den Kopf. Er sagte: Ich habe nur Töchter. Ich träumte, meine Zähne bröckelten ab und dass meine Decken mich erstickten. Ich träumte von meinen Brüdern, überall war Blut. Ich würde gern sagen: Ich träumte, das Mädchen, das ich liebte, und ich seien zusammen alt geworden. Oder: Ich träumte von einer gelben Tür und einem weiten Feld. Ich würde gern sagen: Ich träumte, ich sei gestorben und mein Buch sei zwischen meinen Sachen gefunden worden,

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