Die Geschichte der Liebe (German Edition)
Mensch. Am liebsten hätte ich es herausgeschrien: Der Plural von Elf ist Elfen! Was für eine Sprache! Was für eine Welt!
Bei den Toiletten gab es ein Münztelefon. Ich kramte einen Quarter aus der Tasche und wählte Brunos Nummer. Es klingelte neunmal. Das Mädchen mit dem blauen Haar ging auf dem Weg zum Klo an mir vorbei. Ich lächelte sie an. Unglaublich! Sie lächelte zurück. Beim zehnten Klingeln nahm er ab.
Bruno?
Ja?
Ist es nicht gut, zu leben?
Nein danke, ich kaufe nichts.
Ich will dir nichts verkaufen! Hier ist Leo. Hör zu. Ich saß eben hier im Starbucks, bei einem Kaffee, und plötzlich hat es mich gepackt.
Wer hat dich gepackt?
Ach , hör doch zu! Es hat mich gepackt, wie schön es ist, zu leben. Verstehst du, was ich sage? Ich sage, das Leben ist eine schöne Sache, Bruno. Eine schöne Sache und eine ewige Freude.
Es folgte eine Pause.
Klar, Leo, wie du meinst. Das Leben ist wundervoll.
Und eine ewige Freude, sagte ich.
In Ordnung, sagte Bruno. Und eine Freude.
Ich wartete.
Eine ewige Freude.
Ich wollte gerade auflegen, als Bruno sagte: Leo?
Ja?
Was hast du gemeint, das menschliche Leben?
Ich saß eine halbe Stunde an meinem Kaffee, zögerte den letzten Schluck hinaus. Das Mädchen klappte sein Notizbuch zu und stand auf. Der Mann war fast mit seiner Zeitung durch. Ich las die Schlagzeilen. Ich war ein kleiner Teil von etwas Größerem als ich. Ja, das menschliche Leben. Das! Menschliche! Leben! Der Mann blätterte um, und mir blieb das Herz stehen.
Es war ein Foto von Isaac. Ich hatte es noch nie gesehen. Ich sammele alle Zeitungsausschnitte von ihm; gäbe es einen Fanclub, wäre ich Präsident. Seit zwanzig Jahren habe ich eine Zeitschrift abonniert, in der er gelegentlich veröffentlicht. Ich glaubte jedes Foto von ihm zu kennen. Ich habe sie alle tausendmal genauestens betrachtet. Und doch. Dieses war mir neu. Er stand vor einem Fenster. Das Kinn gesenkt, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Wie eben noch in Gedanken. Aber seine Augen blickten nach oben, als hätte jemand unmittelbar vor dem Klicken des Auslösers seinen Namen gerufen. Ich wollte ihm etwas zurufen. Es war nur eine Zeitung, aber ich wollte aus voller Kehle schreien: Isaac! Hier bin ich! Hörst du mich, mein kleiner Isaac. Ich wollte, dass er mich ansah wie denjenigen, der ihn gerade aus seinen Gedanken gerissen hatte. Aber: Er konnte nicht. Weil die Schlagzeile lautete: ROMANCIER ISAAC MORITZ MIT 60 GESTORBEN.
Der viel beachtete Schriftsteller Isaac Moritz, Autor von sechs Romanen, darunter Das Heilmittel, das mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, starb Dienstagnacht an der Hodgkin’schen Krankheit. Er war 60 Jahre alt.
Moritz’ Romane zeichnen sich durch Humor und Mitgefühl aus, vor allem aber durch die Suche nach Hoffnung inmitten tiefster Verzweiflung. Von Anfang an fand er begeisterte Anhänger, darunter Philip Roth, einer der Juroren des National Book Award, der Moritz 1972 für seinen ersten Roman verliehen wurde. «Im Mittelpunkt von Das Heilmittel steht ein lebendiges menschliches Herz: glühend, leidenschaftlich, flehend», schrieb Roth in einer Pressemitteilung zur Bekanntgabe des Preisträgers. Ein anderer Verehrer, Leon Wieseltier, der sich heute Morgen telefonisch aus der Redaktion der New Republic in Washington, D.C., zu Wort gemeldet hat, nannte Moritz «einen der bedeutendsten, weit unterschätzten Schriftsteller des späten zwanzigsten Jahrhunderts. Ihn als jüdischen oder gar experimentellen Schriftsteller zu bezeichnen», fügte er hinzu, «geht vollkommen an dem vorbei, was er an Menschlichkeit vermittelt, die sich jeder Kategorisierung entzieht.»
Isaac Moritz wurde 1940 als Sohn von Einwanderern in Brooklyn geboren. Schon früh begann er, ein ruhiges und ernsthaftes Kind, Notizbücher mit detaillierten Schilderungen von Szenen aus seinem Leben zu füllen. Einer dieser Einträge – die Beobachtung, wie ein Hund von einer Horde Kinder geprügelt wird, geschrieben im Alter von zwölf Jahren – inspirierte später die berühmteste Szene in Das Heilmittel , wo der Protagonist Jacob aus der Wohnung einer Frau kommt, mit der er soeben zum ersten Mal geschlafen hat, und, bei eisiger Kälte im Schatten einer Straßenlaterne stehend, beobachtet, wie ein Hund von zwei Männern brutal zu Tode getreten wird. In diesem Moment, überwältigt von der zärtlichen Brutalität der physischen Existenz – dem «unauflöslichen Widerspruch, mit Selbstbesinnung gestrafte Tiere und mit
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