Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Freundschaft als eine seiner trefflichsten Bereicherungen empfinden und er werde sich mühen, sie durch den Eifer seiner Dienste auch zu verdienen. Er könne nicht versprechen, mir Manon zurückzugeben, denn er habe allenfalls mäßigen Einfluss, und auch das sei nicht gewiss; doch er könne mir die Freude verschaffen, sie wiederzusehen, so bot er an, und alles unternehmen, was in seiner Macht stehe, damit ich sie wieder in meine Arme schließen könne.
Mir war die Ungewissheit, was seinen Einfluss betraf, lieber als eine vollmundige Zusicherung, alle meine Wünsche zu erfüllen. Dass er sich mit Versprechungen zurückhielt, empfand ich als Zeichen einer Aufrichtigkeit, die mich für ihn einnahm. Mit einem Wort, ich erhoffte mir alles von der Hilfe, die er mir anbot. Allein schon sein Versprechen, ich werde Manon zu sehen bekommen, hätte mich bewogen, alles Mögliche für ihn zu tun. Ich deutete ihm diese meine Empfindungen an, und zwar auf eine Weise, die ihn seinerseits überzeugte, dass ich nicht von üblem Naturell war. Wir umarmten einander voller Zuneigung, und wir wurden Freunde, einfach nur, weil wir beide ein gutes Herz und ein geradliniges Gemüt hatten, was einen empfindsamen und großzügigen Menschen dazu bewegt, einen anderen Menschen zu lieben, der ihm darin ähnlich ist.
Er ging mit den Zeichen seiner Wertschätzung sogar noch weiter, denn er bot mir an, da er sich meine Abenteuer ausgemalt hatte und zu dem Schluss gekommen war, ich könne nach meinem Entweichen aus Saint-Lazare nicht recht gut gestellt sein, ich solle mich aus seiner Börse bedienen, und bestürmte mich, dies auch anzunehmen. Ich nahm es nicht an, doch sagte ich zu ihm: «Das ist zu viel, mein werter Herr. Wenn Sie es in Ihrer großen Güte und Freundschaft zuwege bringen, dass ich meine teure Manon wiedersehe, werde ich Ihnen ein Leben lang verbunden sein. Wenn Sie mir dieses teure Wesen gar wiedergeben, werde ich mich selbst dann noch in Ihrer Schuld sehen, wenn ich all mein Blut vergösse, um Ihnen zu dienen.»
Wir nahmen erst Abschied voneinander, als wir Zeitpunkt und Ort unseres Wiedersehens verabredet hatten. Er war so entgegenkommend, mich nicht länger als bis zum Nachmittag desselben Tages zu vertrösten. Ich wartete in einem Café auf ihn, wo er sich gegen vier Uhr einfand, und wir machten uns zusammen auf den Weg zum Hôpital. Mir zitterten die Knie, als wir die Höfe durchquerten. «Oh Macht der Liebe!», sagte ich, «ich werde das Götterbild meines Herzens wiedersehen, Gegenstand so vieler Tränen und Sorgen! Himmel! Bewahre mir genügend Kraft, um zu ihr zu gelangen, und verfüge dann über mein Schicksal und mein Leben; keine andere Gnade mehr erbitte ich von dir.»
Monsieur de T… sprach mit einigen Wärtern des Hauses, die sogleich diensteifrig alles in ihrer Macht stehende anboten, um ihn zufriedenzustellen. Er ließ sich den Trakt zeigen, wo Manon ihre Zelle hatte, und man führte uns dorthin, bewehrt mit einem Schlüssel von erschreckender Größe, der dazu diente, ihre Tür zu öffnen. Ich fragte den Bediensteten, der uns führte und der mit ihrer Betreuung beauftragt war, wie sie ihre Zeit an diesem Ort verbracht habe. Er sagte uns, sie sei von engelsgleicher Sanftmut; niemals habe er von ihr ein hartes Wort vernommen; sie habe während der ersten sechs Wochen nach ihrer Ankunft unablässig Tränen vergossen, doch seit einiger Zeit scheine sie ihr Unglück gefasster hinzunehmen, und sie sei vom Morgen bis zum Abend mit Näharbeiten beschäftigt, ausgenommen einige Stunden, die sie lesend verbringe. Ich fragte ihn des Weiteren, ob sie angemessen versorgt worden sei. Er versicherte mir, am Nötigsten zumindest habe es ihr niemals gefehlt.
Wir näherten uns ihrer Tür. Mein Herz schlug heftig. Ich sagte zu Monsieur de T…: «Gehen Sie allein hinein und kündigen Sie ihr meinen Besuch an, denn ich fürchte, dass es sie zu sehr angreift, wenn sie mich so plötzlich vor sich sieht.»
Die Tür wurde uns geöffnet. Ich blieb auf dem Gang. Dennoch hörte ich ihr Gespräch mit an. Er sagte zu ihr, er sei gekommen, um ihr ein wenig Trost zu spenden; er sei einer meiner Freunde, und unser Glück liege ihm sehr am Herzen. Mit lebhaftestem Eifer fragte sie ihn, ob sie von ihm erfahren könne, was aus mir geworden sei. Er versprach ihr, ich werde bald schon ihr zu Füßen liegen, so zärtlich, so treu, wie sie es nur wünschen könne.
«Wann?», versetzte sie.
«Noch heute», antwortete er, «der glückliche
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