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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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    «Was Ihre Befreiung anlangt», fuhr Lescaut fort, «so ist sie nicht so einfach zu bewerkstelligen, wie Sie denken. Zwei Freunde und ich haben gestern den Abend damit verbracht, alle Außenseiten dieser Anlage zu erkunden, und wir sind, da Ihre Fenster, wie Sie uns erklärt haben, auf einen von Gebäuden umschlossenen Hof gehen, zu dem Schluss gekommen, dass es recht schwierig sein wird, Sie hier rauszuholen. Zudem befinden Sie sich im dritten Stockwerk, und wir können hier weder Seile noch Leitern einschmuggeln. Deshalb sehe ich keinerlei Möglichkeit, wie wir von außen handeln könnten. Man müsste sich innerhalb des Hauses selbst irgendeinen Kniff einfallen lassen.»
    «Nein», antwortete ich, «ich habe alles untersucht, zumal dank der Nachsicht des Abtes meine Haft etwas weniger streng gehandhabt wird. Meine Kammertür ist nicht mehr abgeschlossen, ich kann mich auf den Gängen der Mönche frei bewegen; doch alle Treppenhäuser sind mit soliden Türen versehen, die man bei Nacht und bei Tag sorgfältig verschlossen hält, sodass Geschicklichkeit allein mich unmöglich retten kann. Warten Sie», fuhr ich fort, nachdem ich ein wenig über einen Einfall nachgedacht hatte, der mir ausgezeichnet schien, «könnten Sie mir eine Pistole verschaffen?»
    «Mit Leichtigkeit», sagte Lescaut, «aber wollen Sie jemanden töten?»
    Ich versicherte ihm, ich hätte so wenig die Absicht zu töten, dass die Pistole nicht einmal geladen sein müsse. «Bringen Sie sie mir morgen mit», setzte ich hinzu, «und finden Sie sich um elf Uhr abends mit zwei oder drei Freunden gegenüber der Pforte dieses Hauses ein. Ich hoffe, dann zu Ihnen herauszukommen.»
    Er drang vergebens in mich, ihm weitere Einzelheiten mitzuteilen. Ich sagte, ein Unterfangen, wie ich es im Sinne hätte, könne erst sinnvoll erscheinen, wenn es erfolgreich gewesen sei. Ich bat ihn, seinen Besuch abzukürzen, damit er mich am folgenden Tag umso leichter aufsuchen könne.
    Er wurde mit ebenso wenig Umständen eingelassen wie beim ersten Mal. Er trug ein seriöses Gebaren zur Schau, und jeder hätte ihn für einen Ehrenmann gehalten.
    Als ich mich im Besitz des Instruments zu meiner Befreiung befand, hatte ich kaum noch Zweifel am Erfolg meines Vorhabens. Es war befremdlich und tollkühn; doch wozu wäre ich nicht fähig gewesen angesichts der Beweggründe, die mich beseelten? Ich hatte, seit es mir gestattet war, mein Zimmer zu verlassen und die Gänge entlangzuspazieren, bemerkt, dass der Pförtner jeden Abend dem Abt die Schlüssel zu sämtlichen Türen brachte und dass danach im Hause eine tiefe Stille herrschte, die anzeigte, dass sich alle zur Ruhe begeben hatten. Ich konnte ungehindert durch einen Verbindungsgang von meiner Kammer zu der jenes Paters gelangen. Ich wollte ihm seinen Schlüsselbund abnehmen, würde ihn mit meiner Pistole bedrohen, falls er Umstände machte, ihn herauszugeben, und mit Hilfe der Schlüssel auf die Straße gelangen.
    Ungeduldig wartete ich auf den richtigen Zeitpunkt. Der Pförtner kam zur üblichen Stunde, das heißt, kurz nach neun Uhr. Ich ließ eine weitere Stunde verstreichen, um Gewissheit zu haben, dass alle Mönche und alle Bediensteten eingeschlafen waren. Endlich machte ich mich mit meiner Waffe und einem brennenden Leuchter auf. Ich pochte zunächst sanft an die Tür des Paters, um ihn ohne großen Lärm aufzuwecken. Er hörte mich beim zweiten Klopfen, und da er zweifellos annahm, dass es sich um einen Mönch handelte, dem es schlecht ging und der Hilfe benötigte, erhob er sich, um zu öffnen. Er war gleichwohl so vorsichtig, durch die Tür hindurch zu fragen, wer da sei und was man von ihm wolle. Ich war gezwungen, meinen Namen zu nennen, doch nahm ich einen kläglichen Ton an, um ihn glauben zu machen, dass mir nicht wohl sei.
    «Ach, Sie sind es, mein lieber Sohn», sagte er zu mir und öffnete die Tür, «was führt Sie denn so spät zu mir?»
    Ich betrat seine Kammer, zog ihn in einen Winkel gegenüber der Tür und erklärte, es sei mir unmöglich, noch länger in Saint-Lazare zu verweilen; die Nacht sei eine günstige Zeit, um unbemerkt fortzugehen, und ich erwartete von seiner Freundschaft, dass er mir bereitwillig die Türen öffne oder mir seine Schlüssel borge, damit ich sie selbst öffnen könne.
    Diese höflichen Worte mussten ihn überraschen. Er musterte mich lange, ohne mir zu antworten. Da ich keine Zeit zu verlieren hatte, ergriff ich wiederum das Wort, um ihm zu sagen, dass ich ob

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