Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Louisdor!», setzte er hinzu. «Eher zwanzig Stockschläge für den Spitzbuben da!»
Mochte ich ihm auch zuflüstern, dass er uns ins Verderben bringe, er entriss mir meinen Stock und machte Anstalten, den Kutscher damit zu misshandeln. Dieser hatte wohl schon mit einem Leibgardisten oder einem Musketier zu tun gehabt, denn er fuhr voller Angst mit seiner Kutsche davon und schrie, ich hätte ihn betrogen, doch ich würde schon noch von ihm hören. Ich rief mehrmals vergebens, er möge anhalten.
Seine Flucht beunruhigte mich zutiefst. Zweifellos würde er den Polizeikommissar benachrichtigen.
«Sie stürzen mich ins Verderben», sagte ich zu Lescaut. «Ich bin bei Ihnen nicht in Sicherheit; wir müssen auf der Stelle fort.»
Ich reichte Manon den Arm, um zu gehen, und wir verließen eilends diese gefährliche Straße. Lescaut begleitete uns.
Es liegt etwas Wundersames in der Art, wie die Vorsehung die Ereignisse miteinander verkettet. Kaum waren wir fünf oder sechs Minuten gegangen, als ein Mann, dessen Gesicht mir verborgen blieb, Lescaut erkannte. Er hatte ihn zweifellos in der Umgebung seines Hauses gesucht, und zwar mit der unseligen Absicht, die er jetzt ausführte. «Das ist Lescaut», sagte er und schoss mit einer Pistole auf ihn, «der speist heut mit den Engeln zu Abend.» Und er machte sich auf und davon.
Lescaut stürzte ohne das geringste Lebenszeichen nieder. Ich drängte Manon zur Flucht, denn für einen Leichnam war unsere Hilfe unnütz, und ich fürchtete, wir könnten von der Nachtpatrouille festgenommen werden, die unweigerlich bald erscheinen würde. Ich bog mit Manon und dem Bediensteten in die nächste kleine Querstraße ein. Manon war so erschüttert, dass ich sie kaum zu halten vermochte.
Schließlich sah ich am Ende der Straße eine Droschke. Wir stiegen ein, doch als der Kutscher mich fragte, wohin er uns fahren solle, war ich um eine Antwort verlegen. Ich hatte weder einen sicheren Unterschlupf noch einen Freund meines Vertrauens, bei dem ich Zuflucht zu suchen gewagt hätte. Ich war mittellos, hatte ich doch kaum mehr als eine halbe Pistole in meinem Beutel. Der Schrecken und die Müdigkeit hatten Manon so sehr zugesetzt, dass sie halb ohnmächtig neben mir hockte. Im Übrigen ging mir immer noch der Mord an Lescaut durch den Sinn, und auch wegen der Nachtpatrouille war ich nicht wenig beunruhigt.
Was tun? Glücklicherweise erinnerte ich mich an die Herberge in Chaillot, in der ich mit Manon einige Tage zugebracht hatte, als wir in das Dorf gekommen waren, um uns daselbst niederzulassen. Ich hoffte, dass wir dort nicht nur in Sicherheit wären, sondern auch eine gewisse Zeit zubringen konnten, ohne sofort zahlen zu müssen.
«Fahr uns nach Chaillot», sagte ich zum Kutscher. Er weigerte sich, für weniger als eine Pistole so spät noch dorthin zu fahren: eine weitere Verlegenheit. Schließlich einigten wir uns auf sechs Franc; das war der ganze Rest, der mir im Geldbeutel verblieben war.
Auf dem Weg tröstete ich Manon; doch im Grunde meines Herzens war ich verzweifelt. Ich hätte mir tausendfach den Tod gegeben, wenn ich nicht in meinen Armen das einzige Gut gehalten hätte, das mich ans Leben band. Dieser Gedanke allein ließ mich wieder zu mir kommen. «Wenigstens habe ich sie», sagte ich mir. «Sie liebt mich, sie gehört mir. Was Tiberge auch sagen mag, dies ist kein Trugbild des Glücks. Ich könnte zusehen, wie das ganze Universum zugrunde geht, es ginge mich nichts an. Warum? Weil mir an allem anderen nichts mehr liegt.»
So empfand ich wirklich; aber galten mir die Güter der Welt auch wenig, ich spürte doch, dass ich zumindest einen kleinen Teil davon nötig haben würde, um alles Übrige desto gründlicher gering zu achten. Liebe ist stärker als Wohlstand, stärker als Schätze und Reichtümer, und dennoch bedarf sie deren Unterstützung; und nichts bereitet einem einfühlsamen Liebhaber größere Verzweiflung, als sich hierin wider Willen auf die Vulgarität der gemeinsten Seelen zurückgeworfen zu sehen.
Es war elf Uhr, als wir in Chaillot ankamen. Wir wurden in der Herberge wie alte Bekannte aufgenommen; es rief keine Verwunderung hervor, dass Manon in Männerkleidung steckte, denn in Paris und Umgebung ist man es gewohnt, Frauen in mancherlei Gestalt auftreten zu sehen. Ich ließ sie mit einem Aufwand bedienen, als verfügte ich über ein großes Vermögen. Sie wusste nicht, dass es um meine Geldmittel schlecht bestellt war; ich hütete mich, ihr etwas davon zu
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