Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
all seiner Gunstbezeugungen zutiefst gerührt sei, da aber die Freiheit das höchste aller Güter sei, vor allem für mich, dem man sie zu unrecht entzogen habe, sei ich entschlossen, sie mir noch in dieser Nacht zu verschaffen, um welchen Preis auch immer; und aus Furcht, er könne darauf verfallen, die Stimme zu erheben und um Hilfe zu rufen, ließ ich ihn jenen vortrefflichen Grund zum Schweigen sehen, den ich unter meinem Wams verborgen hielt.
«Eine Pistole!», entfuhr es ihm. «Wie, mein Sohn, Sie wollen mir das Leben nehmen aus Dankbarkeit für die Wertschätzung, die ich Ihnen bezeigt habe?»
«Gott behüte», antwortete ich, «Sie besitzen zu viel Geist und Vernunft, um mich in eine solche Zwangslage zu bringen; doch ich will meine Freiheit, und dafür bin ich zu allem entschlossen; wenn mein Vorhaben durch Ihre Schuld scheitert, ist es auf jeden Fall um Sie geschehen!»
«Aber mein lieber Sohn», versetzte er mit bleichem, erschrockenem Gesicht, «was habe ich Ihnen getan? Welchen Grund haben Sie, meinen Tod zu wünschen?»
«Aber nein», antwortete ich ungeduldig, «ich habe nicht die Absicht, Sie zu töten, wenn Sie leben wollen. Öffnen Sie mir die Pforte, und ich bin Ihr bester Freund.»
Ich bemerkte die Schlüssel auf seinem Tisch. Ich nahm sie und bat ihn, mir möglichst ohne jeden Lärm zu folgen. Er musste sich wohl oder übel fügen. Während wir durch das Haus gingen und er mir eine Tür nach der anderen öffnete, wiederholte er seufzend: «Ach, mein Sohn, ach, wer hätte das gedacht?»
«Keinen Laut, mein Vater», wiederholte ich meinerseits jedes Mal. Schließlich gelangten wir an eine Art Gatter, das sich vor der großen Pforte zur Straße befindet. Ich glaubte mich schon in Freiheit, da ich mit der Kerze in der einen Hand und der Pistole in der anderen hinter dem Pater stand. Er beeilte sich, mir zu öffnen, als ein Hausknecht, der in einer kleinen Kammer nebenan schlief und die Geräusche der Schlösser gehört hatte, sich erhob und seinen Kopf aus der Tür streckte. Der gute Pater glaubte offenbar, der Knecht sei imstande, mich aufzuhalten. Er forderte ihn höchst unklugerweise auf, ihm zu Hilfe zu eilen. Es war ein kräftiger Kerl, der sich, ohne zu zögern, auf mich stürzte; ich überlegte nicht lange und schoss ihm mitten in die Brust.
«Das haben Sie zu verantworten, mein Vater», sagte ich trotzig zu meinem Begleiter. «Doch das hindert Sie nicht, die Sache zu Ende zu bringen», setzte ich hinzu und stieß ihn dabei zur letzten Pforte. Er traute sich nicht, mir zu trotzen, und öffnete. Ich gelangte wohlbehalten hinaus und traf nach wenigen Schritten auf Lescaut, der wie versprochen mit zwei Freunden auf mich wartete.
Wir entfernten uns sogleich. Lescaut fragte mich, ob er nicht etwa einen Pistolenschuss gehört habe. «Das ist Ihre Schuld», antwortete ich, «warum haben Sie mir eine geladene Pistole gebracht?»
Gleichwohl dankte ich ihm für seine Voraussicht, denn sonst wäre ich zweifellos noch lange in Saint-Lazare verblieben. Wir verbrachten die Nacht bei einem Gastwirt, bei dem ich mich ein wenig von der kargen Kost erholte, mit der ich mich fast drei Monate lang hatte begnügen müssen. Doch konnte ich das Mahl nicht genießen. Ich litt unsäglich um Manon. «Wir müssen sie befreien», sagte ich zu meinen drei Freunden. «Nur mit Blick darauf habe ich mir die Freiheit gewünscht. Ich bitte Sie, mir mit Ihrer Geschicklichkeit dabei zu helfen; was mich angeht, so werde ich alles daran setzen, selbst mein Leben.»
Lescaut, dem es an Scharfsinn und Umsicht nicht mangelte, gab mir zu bedenken, dass man behutsam vorgehen müsse; mein Ausbruch aus Saint-Lazare und das Missgeschick, das mir bei der Flucht unterlaufen sei, dürften unweigerlich Aufruhr verursachen; der Herr Generalleutnant der Polizei werde mich suchen lassen, und er habe einen langen Arm; und wenn ich mich nicht etwas Schlimmerem aussetzen wolle als Saint-Lazare, sei es ratsam, mich einige Tage lang versteckt zu halten und die Öffentlichkeit zu meiden, bis der erste Eifer meiner Feinde erloschen sei.
Sein Rat war vernünftig, doch hätte auch ich vernünftig sein müssen, wenn es galt, ihn zu befolgen. Aber so viel Gemächlichkeit und Besonnenheit vertrug sich nicht mit meiner Leidenschaft. Ich ging nur insofern auf ihn ein, als ich ihm versprach, den folgenden Tag mit Schlafen zu verbringen. Er schloss mich in seinem Zimmer ein, wo ich bis zum Abend blieb.
Einen Teil dieser Zeit verbrachte ich damit,
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