Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
Vom Netzwerk:
andere Absichten mit Manon.
    «Andere Absichten mit Manon?», fragte ich, während mir in tödlichem Schrecken das Herz stockte, «und welche Absichten bitte schön, Hochwürden?»
    Er antwortete, es sei mir ja nicht unbekannt, dass der Gouverneur Befehlsgewalt habe, dass er, da Manon aus Frankreich in seine Kolonie geschickt worden sei, über sie verfügen könne, was er bislang nicht getan habe, weil er sie verehelicht glaubte; doch da er von mir selbst erfahren habe, dass das nicht der Fall sei, halte er es für angezeigt, sie Monsieur Synnelet zu geben, der in sie verliebt sei.
    Meine Hitzigkeit siegte über meine Vorsicht. Stolz befahl ich dem Geistlichen, mein Haus zu verlassen, wobei ich hervorstieß, dass niemand, auch nicht der Gouverneur und Synnelet und die ganze Stadt zusammengenommen, es wagen solle, meine Frau oder meine Geliebte anzurühren, wie immer auch sie zu nennen ihnen beliebe.
    Ich teilte Manon sogleich die entsetzliche Nachricht mit, die ich gerade erhalten hatte. Wir vermuteten, dass Synnelet in der Zwischenzeit das Gemüt seines Onkels betört haben müsse und er diesen Plan wohl schon lange gehegt habe. Sie waren die Stärkeren. Wir fühlten uns in Nouvel Orléans wie auf hoher See, will sagen, durch unermessliche Räume getrennt von der übrigen Welt. Wohin fliehen in einem Land, das unbekannt war und verlassen oder bewohnt von reißenden Tieren und von Eingeborenen, die ebenso wild waren wie diese? Ich genoss in der Stadt einiges Ansehen, doch konnte ich nicht erwarten, das Volk so sehr zu meinen Gunsten zu bewegen, dass ich auf eine Hilfe hoffen konnte, die dem Unheil gewachsen gewesen wäre. Dazu hätte es Geld gebraucht, und ich war arm. Im Übrigen war der Ausgang einer Volksbewegung ungewiss, und sollte uns das Glück nicht hold sein, wäre unser Unglück fortan heillos.
    All diese Gedanken gingen mir im Kopf herum. Manche teilte ich Manon mit. Doch kamen mir immer neue in den Sinn, ohne dass ich ihre Antwort überhaupt beachtet hätte. Ich fasste einen Entschluss; ich verwarf ihn, um einen anderen zu fassen. Ich sprach vor mich hin, ich antwortete laut auf meine eigenen Gedanken; ich befand mich schließlich in einem Zustand der Erregung, den ich mit nichts zu vergleichen wüsste, denn nie hat es Ähnliches gegeben. Manon hielt den Blick auf mich geheftet. Aus meiner Verwirrung schloss sie auf die Größe der Gefahr, und mehr um mich zitternd als um sich selbst, wagte das zarte Mädchen nicht einmal, den Mund zu öffnen, um mir gegenüber ihre Befürchtungen zu äußern.
    Nach unzähligen Überlegungen traf ich die Entscheidung, den Gouverneur aufzusuchen und nichts unversucht zu lassen, um ihn zu erweichen, indem ich an seine Ehre appellierte und ihm meine Ehrerbietung und sein Wohlwollen in Erinnerung rief. Manon wollte sich meinem Aufbruch entgegenstellen. Mit Tränen in den Augen sagte sie: «Sie gehen in den Tod. Man wird Sie töten. Ich werde Sie nicht wiedersehen. Ich will vor Ihnen sterben.»
    Es bedurfte großer Mühe, sie davon zu überzeugen, dass ich unbedingt dorthin gehen und sie unbedingt zu Hause bleiben musste. Ich versprach ihr, sie werde mich binnen Kurzem wiedersehen. Sie ahnte so wenig wie ich, dass sie selbst es war, auf die aller Zorn des Himmels und die Wut unserer Feinde niedergehen sollte.
    Ich begab mich zum Fort. Der Gouverneur befand sich in Gesellschaft seines Geistlichen. Um ihn zu rühren, erniedrigte ich mich zu einer Unterwürfigkeit, die mich vor Scham hätte sterben lassen, hätte ich sie für irgendein anderes Anliegen auf mich genommen.
    Ich bot all die Beweggründe auf, die ein Herz unfehlbar anrühren müssen, wenn es nicht das einer wilden und grausamen Bestie ist. Dieser Barbar jedoch hatte für meine Klagen nur zwei Antworten, die er hundertfach wiederholte: Manon, so sagte er, sei ihm untertan; und er habe seinem Neffen sein Wort gegeben. Ich war entschlossen, mich auf das Äußerste zu mäßigen. Und so beschied ich mich mit den Worten, ich hätte gemeint, er sei mir zu sehr Freund, um meinen Tod zu wollen, mit dem ich mich eher abfände als mit dem Verlust meiner Geliebten.
    Ich war bei meinem Aufbruch nur allzu sehr überzeugt, dass ich von diesem unnachgiebigen Alten nichts zu erhoffen hatte, der für seinen Neffen tausendfach sein Seelenheil gegeben hätte. Gleichwohl hielt ich an meinem Vorsatz fest, bis zum Schluss den Anschein der Mäßigung zu wahren, war ich doch entschlossen, wenn es bis zum äußersten Unrecht kommen sollte,

Weitere Kostenlose Bücher