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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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können. Ich bin leichtfertig und flatterhaft gewesen, und obschon ich Sie immer unsterblich liebte, war ich nur ein undankbares Geschöpf. Doch Sie werden nicht glauben, wie sehr ich mich gewandelt habe. Meine Tränen, die Sie seit unserem Aufbruch aus Frankreich so oft haben fließen sehen, galten nicht ein einziges Mal meinem eigenen Unglück. Ich habe aufgehört, es zu empfinden, als Sie begannen, es mit mir zu teilen. Ich habe nur aus Zärtlichkeit und Mitgefühl für Sie geweint. Ich bin untröstlich, dass ich Ihnen in meinem Leben auch nur einen Augenblick lang habe Leid zufügen können. Ohne Unterlass werfe ich mir meine Treulosigkeit vor und bewundere gerührt, wozu die Liebe zu einer Unglücklichen Sie befähigt hat, die dieser nicht würdig war und die», so setzte sie unter einer Flut von Tränen hinzu, «mit all ihrem Blut nicht die Hälfte der Schmerzen abgelten könnte, die sie Ihnen verursacht hat.»
    Ihre Tränen, ihre Worte und der Ton, in dem sie diese vorbrachte, machten einen solch überwältigenden Eindruck auf mich, dass ich glaubte, etwas wie einen Riss in meiner Seele zu verspüren. «Gib acht», sagte ich zu ihr, «gib acht, meine liebe Manon, ich bin nicht stark genug, so lebhafte Zeichen deiner Zuneigung zu ertragen; ich bin ein solches Übermaß an Freude nicht gewöhnt. Mein Gott!», rief ich, «ich bitte dich um nichts mehr. Ich bin des Herzens meiner Manon gewiss. Es empfindet so, wie ich es mir gewünscht habe, um glücklich zu sein; das kann nun nicht mehr enden. Mein Glück steht fest gefügt.»
    «So ist es», antwortete sie, «wenn Sie dabei auf mich bauen, und ich weiß, wo auch ich das meine immer finden kann.»
    Mit diesen beseligenden Gedanken, die meine Hütte in einen Palast verwandelten, der dem höchsten König der Welt wohl angestanden hätte, begab ich mich zu Bett. Nach all dem erschien mir Amerika als eine Stätte der Wonnen. «Nach Nouvel Orléans muss man kommen», sagte ich immer wieder zu Manon, «will man die wahren Freuden der Liebe kosten. Hier nur liebt man sich ohne Eigennutz, ohne Eifersucht, ohne Untreue. Unsere Landsleute kommen hierher, um Gold zu suchen; sie haben keinen Schimmer davon, dass wir hier viel wertvollere Schätze gefunden haben.»
    Wir pflegten unsere Freundschaft mit dem Gouverneur. Er hatte die Güte besessen, mir wenige Wochen nach unserer Ankunft einen untergeordneten Posten anzubieten, der im Fort frei geworden war. Wenngleich es keine besonders bedeutende Beschäftigung war, nahm ich sie doch wie ein Geschenk des Himmels entgegen. Sie versetzte mich in die Lage, für unseren Unterhalt zu sorgen, ohne dass wir jemandem zur Last fielen. Ich nahm mir einen Diener und eine Zofe für Manon. Unsere bescheidenen Mittel nahmen wieder zu. Ich befleißigte mich eines geordneten Lebenswandels, und Manon stand mir darin nicht nach. Wir ließen uns keine Gelegenheit entgehen, unseren Nachbarn gefällig zu sein und Gutes zu tun. Dieses unaufdringliche Entgegenkommen und unsere angenehmen Sitten trugen uns das Vertrauen und die Zuneigung der gesamten Kolonie ein. Nach kurzer Zeit genossen wir so hohes Ansehen, dass wir als die ranghöchsten Leute der Stadt nach dem Gouverneur galten.
    Die Unschuld unserer Beschäftigungen und die Ruhe, in der wir uns ständig befanden, führten dazu, dass wir uns unmerklich wieder der Gedankenwelt der Religion näherten. Manon war niemals ohne Glauben gewesen. Auch ich war keiner von jenen maßlosen Wüstlingen, die sich damit brüsten, dass sie in ihrer sittlichen Verderbtheit auch noch dem Unglauben huldigen. Liebe und Jugend waren der Grund für unsere Verfehlungen gewesen. Erfahrung wog für uns mehr und mehr das Lebensalter auf; sie hatte auf uns die gleiche Wirkung wie zunehmende Jahre. Unsere Gespräche, die immer wohlbedacht waren, erweckten in uns allmählich die Neigung zu einer Liebe in Tugend. Ich war es, der Manon diese Veränderung vorschlug. Ich kannte die Grundsätze ihres Herzens. Sie war in allen ihren Empfindungen aufrichtig und natürlich – eine Wesensart, die immer nach Tugend strebt.
    Ich gab ihr zu verstehen, dass zu unserem Glück noch eines fehle. «Und das ist», sagte ich zu ihr, «die Billigung des Himmels dafür zu erhalten. Zu sehr sind wir beide von schöner Seele und lauterem Herzen, um aus freien Stücken in Pflichtvergessenheit zu leben. In Frankreich mochte es hingehen, so zu leben, war es uns doch gleichermaßen unmöglich, von unserer Liebe zu lassen wie ihr in statthafter

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