Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Weise zu huldigen; doch in Amerika, wo wir nur auf uns selbst gestellt sind, wo wir nicht mehr die willkürlichen Regeln des Standes und der Schicklichkeit beachten müssen, wo man uns sogar verheiratet glaubt, wer hindert uns hier daran, es tatsächlich bald zu sein und unsere Liebe durch das Gelöbnis zu adeln, das die Religion vorsieht? Ich trage Ihnen nichts Neues an», setzte ich hinzu, «wenn ich Ihnen Herz und Hand entbiete, doch ich bin bereit, Ihnen dieses Geschenk aufs Neue am Fuße eines Altars zu machen.»
Es schien mir, dass diese Worte sie mit Freude erfüllten. «Würden Sie mir glauben», antwortete sie, «dass ich tausendfach daran gedacht habe, seit wir in Amerika sind? Die Furcht, Ihnen zu missfallen, ließ mich diesen Wunsch in meinem Herzen verbergen. Ich bin nicht so vermessen, den Stand als Ihre Gemahlin anzustreben.»
«Ach, Manon!», erwiderte ich, «du wärest bald schon die eines Königs, hätte der Himmel mich mit einer Krone zur Welt kommen lassen. Zaudern wir nicht länger. Wir haben kein Hindernis zu fürchten. Ich werde noch heute mit dem Gouverneur sprechen und ihm gestehen, dass wir ihn bislang getäuscht haben. Überlassen wir es gewöhnlichen Liebenden», so schloss ich, «der Ehe unsprengbare Ketten zu fürchten. Sie würden sie nicht fürchten, wenn sie, wie wir, Gewissheit hätten, für immer in Liebe aneinandergekettet zu sein.» Manon empfand höchste Freude, als dieser Entschluss gefasst war.
Ich bin überzeugt, dass es auf der Welt nicht einen Mann von Ehre gibt, der meine Sicht der Dinge nicht gebilligt hätte angesichts der Umstände, in denen ich mich befand, nämlich dass ich schicksalhaft einer Leidenschaft unterworfen war, die ich nicht besiegen konnte, und bestürmt von Reuegefühlen, die ich nicht ersticken durfte. Doch wer wollte meine Klagen der Unbilligkeit zeihen, wenn ich über die Härte des Himmels seufze, der einen Plan vereitelte, den ich doch nur gefasst hatte, um ihm zu gefallen? Ach! Was sage ich: ihn vereitelte? Er bestrafte ihn wie ein Verbrechen. Er hat geduldig alles gelitten, als ich blind den Weg des Lasters wandelte, seine härtesten Strafen jedoch waren mir vorbehalten, als ich zur Tugend zurückzukehren begann! Ich fürchte, mir fehlt die Kraft, meinen Bericht über das entsetzlichste Geschehen, das sich je zugetragen hat, zu Ende zu führen.
Ich ging zum Gouverneur, wie ich es mit Manon verabredet hatte, um von ihm die Zustimmung zu unserer Eheschließung zu erbitten. Ich hätte mich sehr wohl gehütet, mit ihm oder anderen darüber zu sprechen, hätte ich hoffen können, dass der Geistliche, der damals der einzige Priester in der Stadt war, mir diesen Dienst ohne des Ersteren Mitwirkung erweisen würde; doch da ich nicht zu hoffen wagte, dass er bereit gewesen wäre, Stillschweigen zu bewahren, hatte ich mich darauf verlegt, in aller Offenheit zu handeln.
Der Gouverneur hatte einen Neffen namens Synnelet, der ihm ausnehmend lieb und teuer war. Er war dreißig Jahre alt, beherzt, doch auch jähzornig und zur Gewalt neigend. Dieser war noch unvermählt. Die Schönheit Manons hatte ihn schon am Tag unserer Ankunft betört; und die zahllosen Gelegenheiten, bei denen er ihr im Lauf von neun oder zehn Monaten begegnet war, hatten seine Leidenschaft in solchem Maß angefacht, dass er sich insgeheim nach ihr verzehrte. Doch da er, wie auch sein Onkel und die ganze Stadt, überzeugt war, dass ich wirklich mit ihr verheiratet war, hatte er seine Liebe so weit bezwungen, dass nichts davon zu Tage trat, und er hatte sogar bei mancherlei Gelegenheit seinen Eifer bezeigt, mir zu Diensten zu sein.
Ich traf ihn bei seinem Onkel an, als ich ins Fort kam. Ich hatte keinerlei Grund, meine Absichten vor ihm zu verbergen, sodass ich mich ohne viel Aufhebens in seiner Gegenwart erklärte. Der Gouverneur hörte mich mit gewohnter Gewogenheit an. Ich erzählte ihm so manches von meiner Geschichte, die er sich mit Vergnügen anhörte, und als ich ihn bat, bei dem feierlichen Akt, den ich im Sinn hatte, zugegen zu sein, erklärte er sich großzügig bereit, für die Kosten des ganzen Festes aufzukommen. Hocherfreut ging ich von dannen.
Eine Stunde später sah ich den Geistlichen bei mir eintreten. Ich meinte, er sei gekommen, um mir die eine oder andere Unterweisung für meine Eheschließung zu erteilen; doch nachdem er mich kühl begrüßt hatte, erklärte er mir mit wenigen Worten, der Gouverneur untersage mir, fortan noch an derlei zu denken, denn er habe
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