Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
dem Branntwein mitzunehmen, den ich in meiner Kammer verwahrte, und alles, was ich an Proviant in meinen Taschen unterbringen konnte. Wir sagten unseren Bediensteten, die sich in der benachbarten Kammer aufhielten, wir brächen zu unserem Abendspaziergang auf; dieser gehörte zu unseren täglichen Gewohnheiten, und wir ließen die Stadt schneller hinter uns, als ich es Manons zarter Natur zugetraut hätte.
Wenn ich auch meine Unentschiedenheit, wohin wir uns um Zuflucht wenden sollten, nicht überwunden hatte, wollte ich doch von zwei Hoffnungen nicht lassen, ohne welche ich der Ungewissheit darüber, was Manon alles widerfahren mochte, den Tod vorgezogen hätte. Ich hatte mir während der annähernd zehn Monate, die ich in Amerika war, hinreichend Kenntnisse über das Land angeeignet, so dass mir nicht unbekannt war, wie man mit den Wilden umzugehen hatte. Man konnte sich in ihre Hände begeben, ohne mit dem sicheren Tod rechnen zu müssen. Ich war ihnen bei verschiedenen Gelegenheiten begegnet und hatte dabei sogar einige Wörter ihrer Sprache wie auch einige ihrer Gebräuche kennengelernt. Über diese kümmerliche Aussicht hinaus dachte ich auch an die Engländer, die, wie wir, in diesem Teil der Neuen Welt Besitzungen haben. Doch machte mir die Entfernung Angst. Denn um zu ihren Niederlassungen zu gelangen, mussten wir mehrere Tage lang öde Landstriche durchqueren und Berge überwinden, die so hoch und so zerklüftet waren, dass der Weg auch den derbsten und kräftigsten Männern als beschwerlich erschienen wäre. Dennoch redete ich mir ein, dass uns die Unterstützung dieser beiden von Nutzen sein mochte: Die Wilden konnten uns Geleitschutz geben, und die Engländer konnten uns in ihren Behausungen Unterkunft gewähren.
Wir schritten so lange voran, wie Manons Tapferkeit sie durchhalten ließ, das heißt, etwa zwei Meilen 27 , denn diese Liebende sondergleichen weigerte sich beharrlich, schon früher haltzumachen. Als sie schließlich von Mattigkeit übermannt wurde, gestand sie mir, sie könne nicht mehr weitergehen.
Die Nacht war schon hereingebrochen. Wir ließen uns inmitten einer weiten Ebene nieder; es war kein Baum zu finden gewesen, der uns Schutz hätte bieten können. Ihre erste Sorge war, den Wundverband zu wechseln, den sie mir vor unserem Aufbruch selbst angelegt hatte. Vergebens widersetzte ich mich ihren Wünschen. Es hätte sie sterbenselend gemacht, wenn ich ihr die Befriedigung versagt hätte, mich versorgt und außer Gefahr zu glauben, ehe sie sich um sich selbst kümmerte. So fügte ich mich eine Zeit lang ihrem Begehren. Ich ließ ihre Fürsorge schweigend und beschämt über mich ergehen. Doch sobald sie ihr zärtliches Pflegebedürfnis gestillt hatte, mit welcher Glut machte sich da das meine geltend! Ich entledigte mich all meiner Bekleidung, um sie unter sie zu breiten, damit ihr der Boden weniger hart wäre. Ich trotzte ihr das Einverständnis ab, dass ich ihr alles zugutekommen lassen dürfe, was irgend ich zur Minderung ihrer Unbill zu ersinnen vermochte. Ich wärmte ihr mit glühenden Küssen und heißen Seufzern die Hände. Ich verbrachte die ganze Nacht wachend bei ihr, zum Himmel betend, er möge ihr einen sanften und friedvollen Schlaf gewähren. O Gott! Wie waren doch meine Wünsche ungestüm und aufrichtig! Und mit welch hartem Urteil hast du beschlossen, sie nicht zu erhören!
Verzeihen Sie, wenn ich mit wenigen Worten einen Bericht vollende, der mir ans Leben geht. Ich erzähle Ihnen von einem Unglück ohnegleichen. Mein ganzes Dasein ist dazu bestimmt, es zu beweinen. Doch wenngleich ich es beständig im Gedächtnis trage, ist es, als scheue meine Seele jedes Mal entsetzt zurück, sobald ich mich anschicke, ihm Ausdruck zu verleihen.
Wir hatten einen Teil der Nacht friedlich zugebracht. Ich wähnte meine teure Geliebte eingeschlafen und wagte nicht, auch nur den geringsten Hauch zu tun aus Furcht, ihren Schlaf zu stören. Als ich bei Tagesanbruch ihre Hände berührte, bemerkte ich, dass sie kalt waren und zitterten. Ich führte sie an meine Brust, um sie zu wärmen. Sie spürte diese Bewegung, und im Bemühen, die meinen zu ergreifen, sagte sie mit schwacher Stimme, sie glaube, ihre letzte Stunde sei gekommen. Das nahm ich zunächst für eine alltägliche Floskel, wie man sie im Unglück dahersagt, und ging mit nichts als zärtlichen Worten des Trostes und der Liebe darauf ein. Doch ihr wiederholtes Stöhnen, ihr Schweigen auf meine Fragen und der Druck ihrer Hände,
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