Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
liebe Gefährten, die gekommen waren, ihr Elend und ihre Einsamkeit zu teilen. Wir machten uns zusammen mit ihnen auf den Weg in die Stadt, doch entdeckten wir beim Näherkommen zu unserem Erstaunen, dass das, was man uns bislang als eine ordentliche Stadt gepriesen hatte, nichts weiter als eine Ansammlung armseliger Hütten war. Diese wurden von fünfhundert bis sechshundert Menschen bewohnt. Das Haus des Gouverneurs schien sich durch seine Höhe und seine Lage ein wenig auszuzeichnen. Es steht innerhalb einer Verteidigungsanlage aus einigen Erdwällen, die von einem breiten Graben umgeben sind.
Wir wurden zunächst dem Gouverneur vorgeführt. Er unterredete sich insgeheim des Längeren mit dem Kapitän, und als er schließlich wieder zu uns zurückkehrte, betrachtete er eine nach der anderen alle Mädchen, die mit dem Schiff eingetroffen waren. Es waren dreißig an der Zahl, denn in Le Havre waren wir auf eine zweite Gruppe gestoßen, die der unseren angegliedert wurde.
Nachdem der Gouverneur sie eingehend gemustert hatte, ließ er einige junge Männer der Stadt rufen, die darauf brannten, eine Gemahlin zu finden. Die hübschesten gab er den Bessergestellten, und die Übrigen wurden verlost. Er hatte noch nicht zu Manon gesprochen, doch nachdem er den anderen befohlen hatte, sich zurückzuziehen, hieß er sie und mich bleiben.
«Ich höre vom Kapitän», sagte er, «dass Sie verheiratet sind und dass er Sie auf der Fahrt als zwei geistreiche und verdiente Personen kennengelernt hat. Ich gehe nicht auf die Gründe ein, die Ursache Ihres Unglücks sind, doch wenn es zutrifft, dass Sie so viel Lebensart haben, wie Ihre Erscheinung es mir verspricht, dann werde ich es an nichts fehlen lassen, um Ihr Los zu erleichtern, und Sie werden selbst dazu beitragen, dass ich an diesem öden und verlassenen Ort ein wenig Annehmlichkeit finde.»
Ich antwortete ihm auf eine Weise, die mir am dienlichsten schien, die Vorstellung zu bestätigen, die er sich von uns machte. Er gab einige Befehle, um uns eine Wohnung in der Stadt herrichten zu lassen, und er behielt uns zum Nachtmahl bei sich. Ich fand, dass er für einen Kommandanten über unglückliche Verbannte recht zuvorkommend war. Er stellte uns vor den anderen keinerlei Fragen nach dem Hintergrund unseres Geschicks. Das Gespräch war allgemein gehalten, und obgleich Manon und ich traurig waren, zwangen wir uns, zu einer angenehmen Unterhaltung beizutragen.
Am Abend ließ er uns zu der Wohnung führen, die man für uns hergerichtet hatte. Wir fanden eine erbärmliche Hütte vor, die aus Bohlen und Lehm errichtet war und aus zwei oder drei Zimmern zu ebener Erde und einem Dachboden darüber bestand. Er hatte fünf oder sechs Stühle und das Notwendigste hineinbringen lassen, um sie bewohnbar zu machen.
Manon schien entsetzt angesichts dieser armseligen Behausung. Dabei grämte sie sich um meinetwillen viel mehr als um sich selbst. Als wir allein waren, ließ sie sich nieder und fing bitterlich an zu weinen. Ich versuchte zunächst, sie zu trösten, doch da sie mir zu verstehen gab, dass sie allein um meinetwillen klage und dass in unserem gemeinsamen Unglück für sie nur das zähle, was ich zu erleiden hätte, trug ich so viel Mut und sogar so viel Freude zur Schau, dass ich sie damit ansteckte.
«Warum sollte ich mich beklagen?», sagte ich zu ihr. «Ich habe alles, was ich begehre. Sie lieben mich, nicht wahr? Welches andere Glück habe ich je erstrebt? Überlassen wir dem Himmel die Sorge um unser Los. Gar so hoffnungslos erscheint es mir nicht. Der Gouverneur ist ein Mann von Lebensart; er hat uns Achtung bezeigt; er wird nicht zulassen, dass es uns am Nötigen fehlt. Und was unsere armselige Hütte und unserer klobige Einrichtung angeht, so wird Ihnen aufgefallen sein, dass es hier nur wenige Leute gibt, die besser untergebracht und eingerichtet zu sein scheinen als wir. Außerdem bist du eine bewundernswerte Alchimistin», fügte ich hinzu und umarmte sie, «du verwandelst alles in Gold.»
«So sind Sie der reichste Mann der Welt», antwortete sie, «denn hat es auch niemals eine Liebe wie die Ihre gegeben, so ist es gleichermaßen unmöglich, zärtlicher geliebt zu werden, als Sie es sind. Ich werde über mich selbst urteilen», fuhr sie fort, «ich empfinde sehr wohl, dass ich niemals die wundersame Anhänglichkeit verdient habe, die Sie mir entgegenbringen. Ich habe Ihnen manches Leid verursacht, das Sie mir ohne Ihre grenzenlose Güte nicht hätten vergeben
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