Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
unvorbereitet war, bestürzt und erschreckt mich.
     Die Unruhe nagt so an mir, daß ich auf dem besten Wege bin, den Schlaf zu verlieren, und ich verbringe meine Nächte damit,
     mich zu fragen, was ich tun soll.
    Mit Unbehagen stelle ich fest, daß Anita mir keine Hilfe ist. Seit die Präsidentschaftswahlen heranrücken, sehe ich sie immer
     weniger, und wenn ich sie sehe, spricht sie mit mir nur über die Wahlen oder über Thailand. Wenn es mir endlich gelingt, das
     Gespräch auf die Enzephalitis 16 und die Dringlichkeit einer Prophylaxe zu bringen, weicht sie einer klaren Antwort aus: Das
     HEW werde nicht zögern, die Maßnahmen zu ergreifen, die ich empfehle, sagt sie. Ein bißchen Geduld, Ralph. Es gibt nicht nur
     »deine« Epidemie.
    Und ich komme schließlich zu der Überzeugung, daß meine Kommission und ich selbst einer Administration, die aus mir unbekannten
     Gründen nichts unternehmen kann oder will, als Alibi dienen. Am 28. September fasse ich – ohne Anita etwas zu sagen, die mit
     Zähnen und Krallen dagegen ankämpfen würde – einen Entschluß. Ich teile ihn meinen Kollegen mit und bitte Cresby um eine Unterredung,
     weil ich ihn davon in Kenntnis setzen will.
    Der junge Glatzkopf ist nicht so quirlig wie gewöhnlich. Oh, gewiß, seine tiefschwarzen kleinen Augen sind unverändert lebhaft.
     Doch hat er angespannte Züge, eine sorgenvolle Nase und verbitterte Lippen. Ich sage ihm von vornherein, daß ich mich nicht
     länger zum Komplizen des Schweigens und der |18| Untätigkeit des HEW hergeben will: Ich lege mein Amt als Vorsitzender der Kommission nieder.
    Die Überraschung: Cresby versucht nicht, mich davon abzubringen. Mit einer nicht zu überbietenden Kaltblütigkeit macht er
     mir Enthüllungen, die mich aus seinem Munde in Erstaunen versetzen. Die Unbeweglichkeit des HEW ist nicht, wie ich glaubte,
     auf Matthews zurückzuführen, sondern auf den Präsidenten. Er ist Opfer seiner eigenen Geschicklichkeit geworden. Zuerst hat
     er von dem Desinteresse profitiert, das die Presse für die Enzephalitis 16 bekundete; er hat meine Statistiken verschwiegen
     und meinen Bericht auf Eis gelegt. Warum? Weil er nach seiner Veröffentlichung gezwungen gewesen wäre, Maßnahmen zu ergreifen,
     die ihn unpopulär gemacht hätten. Und wegen Thailand, wo er eine Art heimlichen Krieg führt, der niemandem entgeht, ist er
     schon unpopulär genug. Jetzt kann er meinen Bericht nicht mehr an die Öffentlichkeit bringen, ohne ein großes Geschrei auszulösen.
     Wegen dieser verspäteten Veröffentlichung würde man wütend über ihn herfallen, ihm alle Toten zur Last legen, und er würde
     die Präsidentschaftswahlen gegen Senator Sherman verlieren.
    Ich höre. Ich bin sprachlos. Ich bin erstaunt, daß die Aussicht, wiedergewählt zu werden, für den Präsidenten Vorrang vor
     den Menschenleben hat, die er hätte retten können, wenn die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig ergriffen worden wären. Cresby
     fängt an zu lachen: »Doktor, Sie tun dem Präsidenten Unrecht! Sie glauben, daß er in seiner Wiederwahl sein … persönliches
     Interesse sucht? Nicht im geringsten. Sie wissen nichts von der großen Mission, mit der sich der Präsident von Gott beauftragt
     glaubt: den amerikanischen Einfluß in Südostasien zu bewahren. Ganz einfach – wenn Thailand kracht, ist es wie ein Riegel,
     der aufspringt, und alles stürzt zusammen. Und allein der Präsident kann Thailand retten. Wenigstens glaubt er es. Sie verstehen,
     was im Hinblick darauf eine kleine Epidemie bedeutet, die hier in den USA erst vierzigtausend Menschen das Leben gekostet
     hat – weniger als die Verkehrsunfälle in einem Jahr.«
    Eine merkwürdige politische Philosophie. Niemals zählt das, was uns hier zu schaffen macht, sondern was am andern Ende der
     Welt geschieht. Auf der anderen Seite gefällt mir die zynische Art nicht, in der dieser lebhafte junge Mann über seinen |19| Chef spricht. Dieser Cresby handelt alles zu sehr von oben ab, einschließlich der Enzephalitis 16. Er hat unrecht. Er selbst
     mag vielleicht unter einem Glücksstern geboren sein, aber die Krankheit ist nicht wie die Armut: So was holt man sich.
    Ich sage es ihm. Ich weise noch darauf hin, daß nicht die Zahl der Fälle wichtig ist, sondern die Schnelligkeit ihrer Verbreitung.
    Da macht mir Cresby unter Andeutungen einen Vorschlag, der mich verblüfft. Da ich ja beabsichtige, mein Amt niederzulegen
     – was sollte mich daran hindern, der Öffentlichkeit

Weitere Kostenlose Bücher