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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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ein sehr wichtiger Punkt. Weder in den USA noch im Ausland befindet sich unter den
     Opfern der Enzephalitis 16 ein Wesen weiblichen Geschlechts.«
    Skelton und Matthews sind wie versteinert, besonders Staatssekretär Matthews. Vierschrötig und wie ein Koloß preßt er seine
     schweren behaarten Pranken gegeneinander; die Ellbogen auf dem Tisch, schiebt er sein Raubtiergebiß vor, sieht mich unter
     seinen dichten Brauen an und sagt in aggressivem Ton: »Ist es möglich, daß die Enzephalitis 16 sich an Frauen nicht heranwagt?«
    Obwohl mir seine Formulierung wenig wissenschaftlich erscheint, antworte ich geduldig: »Das ist nicht der einzige Fall von
     Immunität der Frau gegenüber einer Krankheit, die man beim Mann beobachtet. Beispiel: die Hämophilie.«
    »Was denn«, sagt Matthews, völlig durcheinandergebracht, »was hat die Hämophilie mit der Enzephalitis 16 zu tun?«
    »Gar nichts«, sagt Cresby vernichtend. »Dr. Martinelli ist im Begriff, einen Vergleich zwischen zwei Immunitäten aufzustellen.
     Frauen sind gegenüber der Hämophilie und der Enzephalitis 16 völlig immun.«
    »Und wie erklären Sie diese Immunität?« fragt Matthews mit jener gleichsam entrüsteten Naivität, die mir schon vorher an ihm
     aufgefallen war.
    »Ich kann sie überhaupt nicht erklären«, sage ich. »Aber die Erfahrung beweist es.«
    |16| Es folgt ein langes, drückendes Schweigen. Man braucht Zeit, um eine solche Tatsache zu verdauen. Mich setzt jedoch nicht
     das Schweigen in Erstaunen, sondern Mrs. White, besser gesagt: die Art, in der wir sie betrachten. Sie ist verdutzt, plötzlich
     alle männlichen Blicke auf sich gerichtet zu sehen. O nein, mit ihren fünfzig Jahren, grau von Kopf bis Fuß, und nicht einmal
     Spuren vergangener Schönheit, macht sie sich keine Illusionen! Aber sie ist es nicht gewöhnt, angesehen zu werden, weder so
     beharrlich noch von so vielen Männern auf einmal. Sie wird rot, irgendwie fühlt sie sich ihrer Immunität schuldig und deutet
     ein schüchternes, entschuldigendes Lächeln in Richtung des Staatssekretärs an. Dies eine Mal antwortet Matthews nicht mit
     dem zähneentblößten, strahlenden Lächeln des Berufspolitikers. Er sieht Mrs. White unverwandt und voller Groll lange an.
    Ich bin sicher, daß das alles in Wirklichkeit nur zwei oder drei Sekunden dauert, aber als ich mir die Sitzung später wieder
     ins Gedächtnis rufe, sehe ich diesen Augenblick immer vor mir.
     
    Aus meiner Unterredung mit Matthews ist nichts herausgekommen. Drei Wochen nach unserer Begegnung hat er die Öffentlichkeit
     noch nicht alarmiert, und es wurde keine der prophylaktischen Maßnahmen ergriffen, die ich gefordert hatte. Am meisten setzt
     mich in Erstaunen, daß sich die Presse bis jetzt nicht rührt. Wie so oft, haben für sie die außenpolitischen Angelegenheiten
     gegenüber den inneren den Vorrang. In diesem Augenblick haben die Massenmedien nur Augen und Ohren für Thailand und die folgenschweren
     Initiativen, die der Präsident dort ergriffen hat. Man reagiert gar nicht einmal mit Schweigen auf die Enzephalitis 16, sondern
     mit Desinteresse. Hier und da lese ich wohl irgendwelche Artikelchen über die Krankheit, aber nichts, was wirklich den Ernst
     der Situation zum Ausdruck bringt.
    Den Neurologen entgeht er jedoch nicht. Meine Post und die Anrufe, die ich erhalte, bezeugen es. Diese Ärzte sind jedoch der
     Administration gegenüber sehr respektvoll, wie ich es selbst vor drei Wochen war: Sie vertrauen ihr und verlassen sich darauf,
     daß die von mir geleitete Kommission die erforderlichen Anordnungen trifft. Was die öffentliche Meinung betrifft, |17| mache ich eine niederschmetternde Entdeckung: Die Zahl der Todesfälle ist noch nicht hoch genug, um sie für das Problem empfänglich
     zu machen. Mehr noch, die Leute haben den Eindruck, daß eine Epidemie irgendwas ist, was noch in Afrika, Asien, schlimmstenfalls
     in Lateinamerika ausbrechen kann, aber nicht in den Vereinigten Staaten. Als ich gegenüber einem Redakteur der
Washington Post
ein Wort über meine Unruhe fallenließ, bin ich auf höflichen Skeptizismus gestoßen. Bei ihm wie bei vielen anderen schälen
     sich für mich Ansichten heraus, die einander ergänzen und sich in ihrer Wirkung steigern: blinder Glaube an die US-Medizin
     und ein anderer, nicht weniger blinder Glaube an die Fähigkeit der Administration, eine nationale Gefahr abzuwenden.
    Ich muß sagen, die Verantwortung, die auf mir lastet und auf die ich völlig

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