Wogen der Sehnsucht
1. KAPITEL
Der Schatten des Hubschraubers fiel auf den dichten, weichen Rasen von Stowell Castle. Die Rotoren wirbelten die heiße Augustluft auf und ließen die Kronen der alten Bäume des Anwesens tanzen.
Tristan Romero de Losada Montalvo blickte hinunter. Unter ihm war die Party bereits in vollem Gange, und er konnte Kellner sehen, die Tabletts mit Champagner zwischen den Gruppen von sonderbar gekleideten Gästen auf dem sattgrünen Gras balancierten. Leidenschaftslos registrierte er, wie die Leute aufsahen, unter dem großen weißen Zelt hervortraten und die Augen mit der Hand gegen die sinkende Sonne beschatteten, um seine Ankunft zu beobachten.
Es würde das Fest des Jahres werden, weil Tom Montagues jährlicher Wohltätigkeits-Kostümball das immer war. Es war die Veranstaltung, für die die Hautevolee und der Geldadel aus ihren Häusern in Malibu Beach und ihren toskanischen Palazzi nach England zurückkehrten, um vierundzwanzig Stunden lang in der idyllischen Umgebung der Gärten von Stowell Castle im Überfluss zu schwelgen.
Es war auch das Fest, das Tristan Romero aus seiner etwa dreitausend Kilometer entfernten Hölle herausgerissen hatte, aus Gründen allerdings, die nichts mit Genuss oder Hedonismus zu tun hatten.
Er war wegen Tom hier.
Müde seufzend kreiste er mit dem Hubschrauber über der Wiese, sodass die Dächer der Festzelte flatterten und sich wie die Segel von Galeonen blähten. Tom Montague war der siebte Herzog von Cotebrook und einer der gütigsten und großzügigsten Menschen, die man sich vorstellen konnte; eine Kombination, die Tristan teilweise für gefährlich hielt – vor allem, was Frauen anging. Tom sah immer nur das Gute in den Menschen, selbst wenn es dem Rest der Menschheit verborgen blieb. Deshalb sind wir auch schon so lange befreundet, dachte Tristan säuerlich. Und deshalb fühlte er sich verpflichtet, zu kommen und sicherzustellen, dass das Mädchen, über das Tom während der vergangenen Wochen ununterbrochen geredet hatte, seiner tatsächlich würdig war.
Aber natürlich wäre es sowohl unehrlich als auch eine emotionale Bankrotterklärung gewesen, wenn Tristan versucht hätte, sich vorzumachen, das sei der einzige Grund für sein Kommen.
Letztlich war er hier, weil die Regenbogenpresse und die Paparazzi und die Klatschkolumnisten von ihm erwarteten, dass er hier sein würde. Es war Teil des Deals, den er eingegangen war, als er seine Seele dem Teufel verkaufte. Grimmig schwang er den Hubschrauber herum, folgte dem Flusslauf, der sich durch Stowell zog und seine nördliche Grenze bildete. Während er tiefer ging, suchten seine Augen die Bäume am Flussufer nach dem verräterischen Aufblitzen von Teleobjektiven ab, in deren Linsen sich das Sonnenlicht spiegelte.
Sie würden da sein, dessen war er sich sicher. Jene abgehärteten Vertreter der Paparazzi-Elite, die für ein gutes Foto einen Schritt weiter gingen als andere und die skrupellos genug waren, sich nicht zu fragen, ob das moralisch noch annehmbar war. Sie würden irgendwo dort unten sein, beobachten und abwarten.
Er hätte es beinahe als Beleidigung empfunden, wenn sie nicht gekommen wären. Viele Leute in einer ähnlichen Situation wie er beschwerten sich endlos über die Belagerung der Presse, aber in Tristans Augen begriffen sie nicht, worum es ging. Es war ein Spiel. Ein Spiel, für das Strategie und Können wichtig waren und nicht die Wahrheit. Und bei dem einen schon eine kleine Unachtsamkeit den Ruf kosten konnte. Tristan mochte die Paparazzi nicht, aber er unterschätzte sie auch keine Sekunde lang. Es war einfach eine Frage von benutzen und benutzt werden. Ob man der Manipulator war oder das Opfer.
Und Tristan Romero würde nie mehr das Opfer sein.
Unten auf dem Boden lief Lily Alexander nachdenklich an den vielen Menschen mit den spektakulären Kostümen vorbei. Der Champagner in dem Glas in ihrer Hand war ein besonders guter Jahrgang, das seidige Kleid im griechischen Stil, das sie trug, stammte von einem Designer, und die allermeisten Menschen, die sie kannte, hätten sehr viel dafür gegeben, in diesem Moment auch auf dem Rasen stehen zu können, den sie unter ihren nackten Füßen spürte.
Also warum hatte sie das Gefühl, dass etwas fehlte?
Es gab einen Spruch in der Modelbranche: ‚Es gibt drei Dinge, die Geld nicht kaufen kann: Liebe, Glück und eine Einladung zum jährlichen Kostümball auf Stowell.‘ Magisch war das Wort, das die Menschen mit sehnsüchtiger Andacht benutzten, um
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