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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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Garten spazieren. Der ganze Hof begleitete ihn. Es fiel ihm ein, seinen Ring gegen Zelais zu kehren. Sie war hübsch. Man hatte sie im Verdacht, mehr als einen Liebhaber gekannt zu haben. Dennoch lallte ihr Kleinod nur und brachte nichts als abgebrochene Worte vor, welche die Spötter ausdeuteten, wie sie wollten. »Schau!« sagte der Sultan, »dieses Kleinod hat eine schwere Zunge. Es muß ihm wohl irgend etwas im Wege sein, das es am Sprechen hindert.« Er ließ also seinen Ring stärker wirken. Das Kleinod zwang sich noch einmal zum Sprechen, überwand endlich zum Teil das Hindernis, das ihm den Mund zuhielt, und man vernahm sehr deutlich: »Ach! Ach! Ich … er … er … sticke. Ich kann nicht mehr … Ach! … Ach! … ich ersticke!« Zelais fühlte sich in diesem Augenblicke wirklich der Erstickung nahe. Ihr Antlitz erblaßte, ihre Kehle schwoll an, ihre Augen schlossen sich, sie sperrte den Mund auf und fiel in die Arme ihrer Nachbarn.
    An jedem andern Orte hätte Zelais schleunige Linderung bekommen. Man durfte nur den Maulkorb abnehmen und ihrem Kleinode wieder Luft geben. Aber wie konnte man ihr in Mangoguls Gegenwart hilfreiche Hand leisten? »Geschwind, geschwind, schickt nach Ärzten!« rief der Sultan, »Zelais stirbt!«
    Edelknaben rannten aufs Schloß und kamen zurück. Leibärzte folgten ihnen mit gemessenen Schritten, Guallonorone an ihrer Spitze. Einige rieten zu Aderlaß, andere zu einem Brechmittel. Aber der tiefblickende Guallonorone ließ Zelais in einen nahegelegenen Pavillon tragen, besah den Schaden und zerschnitt die Riemen ihres Korbes. Dieses geknebelte Kleinod war eins von denen, die er sich rühmte, im Parorxysmus gesehen zu haben.
    Indessen, eine außerordentliche Schwellung hatte sich eingestellt, und Zelais würde noch länger gelitten haben, hätte sich der Sultan nicht ihrer erbarmt. Er drehte seinen Ring zurück, ihre Lebensgeister kamen wieder ins Gleichgewicht, Zelais erholte sich, und Guallonorone nannte sich den Wundertäter dieser Genesung.
    Zelaidens Unfall und ihres Arztes Plaudermaul taten dem guten Ruf der Maulkörbe großen Schaden. Guallonorone achtete Colipilos Vorteil nicht, er sah den Augenblick sein Glück auf die Trümmer eines andern zu bauen, nannte sich von nun an wohlbestellter Gesundheitsrat gegen den Kleinods-Rheumatismus, und bis auf diese Stunde sieht man seine Anschlagzettel noch in abgelegenen Gassen. Anfangs gewann er Geld damit, zuletzt ward er verächtlich. Der Sultan machte sich ein Vergnügen daraus, den Stolz des Empirikers zu demütigen. Sooft sich Guallonorone rühmte, ein Kleinod zum Schweigen gebracht zu haben, das nie eine Silbe gesprochen hatte, war Mangogul grausam genug, es reden zu lassen. Man bemerkte endlich, daß jedes Kleinod aus langer Weile anfing zu plaudern, sobald Guallonorone es zwei- oder dreimal besuchte. Bald zählte man ihn, mit Colipilo, zu der Klasse der Marktschreier. Beide werden darin bleiben, bis es Brahma gefällt, sie herauszuziehen.
    Man zog die Schande dem Schlagfluß vor. Man stirbt am Schlagfluß, sagte man. Also verzichtete man auf die Maulkörbe. Man ließ die Kleinode reden, soviel sie wollten, und niemand starb daran.
    Es gab eine Zeit, wie man sieht, wo die Weiber aus Furcht, daß ihre Kleinode reden möchten, erstickten und fast umkamen. Darauf folgte eine Zeit, wo sie sich über diese Besorgnis wegsetzten, die Maulkörbe abschnallten und nur Nervenschwäche hatten.
    Unter den Freundinnen der Favorite befand sich ein sonderbares Mädchen. Ihre Laune war allerliebst, obwohl ungleich. Sie veränderte zehnmal des Tags ihr Gesicht, aber sie gefiel in jeder Veränderung. Ihre Schwermut war nicht minder einzig als ihre Fröhlichkeit. In ihren ausgelassensten Augenblicken entschlüpften ihr Worte von außerordentlicher Feinsinnigkeit; und in ihren traurigsten Anfällen Torheiten, worüber man herzlich lachen mußte. Dies närrische Ding hieß Callirhoe. Mirzoza war so sehr an sie gewöhnt, daß sie fast nicht ohne sie leben konnte. Eines Tages beklagte sich der Sultan, die Favorite etwas unruhig und kühl zu finden. Dieser Vorwurf setzte sie in Verlegenheit. »Gnädiger Herr,« antwortete sie, »wenn ich meine drei Tiere nicht um mich habe, meinen Kanarienvogel, meine Katze und meine Callirhoe, so tauge ich nichts. Sie sehn, die letzte geht mir ab.« – »Warum ist sie denn nicht hier?« fragte Mangogul. »Ich weiß nicht,« antwortete Mirzoza, »sie sagte mir freilich schon vor einigen Monaten, wenn Mazul mit ins

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