Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
Vom Netzwerk:
Such morgen früh Johann auf und bring ihm dies.“ Er deutete auf ein Pergament, das er unter die Lederschnüre des kleinen Packens geschoben hatte. „Dann gehst du mit all diesen Sachen zu Rahardta und wartest.“
„Was soll ich denn bei Rahardta?“, fragte Anna mit weit aufgerissenen Augen.
„Still, Kind, und hör gut zu. Entweder komme ich selbst, oder Johann holt dich dort ab. Das hier“ - er zeigte auf den Beutel - „ist für deine nächste Arbeitstelle, als Lehrgeld.“
Wieder konnte Anna nicht an sich halten und unterbrach ihn.
„ Du solltest das tun, ich weiß doch nicht einmal …“
„In Gottes Namen, unterbrich mich nicht dauernd!“ Wulfs Stirn glänzte schweißnass im Schein der Lampen.
„Also, dies ist für das Lehrgeld“, fuhr er wie gehetzt fort. „Das Silber aus dem Packen verwendest du, wenn du auf der Reise etwas brauchst, und für ein neues Kleid. Den Rest gibst du meiner Schwester Evphemia, damit sie dich aufnimmt. Aber die Stücke, die du in den Gurt eingenäht hast, zeigst du keinem, verstanden?“
Obwohl ihr die Worte des Vaters nicht gefielen, nickte Anna. Sie sah es ihm an - diesmal duldete er keinen Widerspruch.
„Den Inhalt bis hierhin“, sagte Wulf und zeigte auf eine Naht an dem schweren neuen Leibgurt, „gibst du deinem Gatten als Mitgift. Näh die Naht doppelt, damit du den Stoff durchschneiden kannst. Den Rest behältst du für Notfälle. Erzähl niemandem davon, auch nicht deinem Gatten.“
Anna nickte zerstreut und gähnte.
Wulf fuhr sich durch den Schopf. „Es ist Zeit, schlafen zu gehen“, murmelte er und verstaute die Behältnisse unter dem Bettsack. „Möchtest du wieder einmal eine Geschichte hören?“, fragte er unvermittelt.
Anna nickte begeistert. Wie sehr liebte sie es, auf dem Strohsack zu liegen und den Geschichten von Drachen und Rittern zu lauschen.
    Wulf löschte die Talglichter und begann zu erzählen.
     
    Sie kamen im Morgengrauen.
    „Aufmachen!“
Erschrocken riss Anna die Augen auf und stand mit einem Satz vor dem Bett. Es war noch nahezu dunkel in der Hütte. Der Vater saß schon angezogen und hoch aufgerichtet auf dem Lehnstuhl.
„Es ist offen“, antwortete er.
    Die Tür flog auf , und der Raum füllte sich mit drängelnden Männern. Anna blieb keine Zeit mehr, das Kleid überzuwerfen. Sie ergriff ihre Wolldecke und hielt sie sich vor den Leib.
Da löste sich einer aus der Gruppe und trat vor. Er nahm die Kappe von den roten Haaren und drehte sie in den Händen. Anna hatte ihn schon einmal gesehen, sein Name war Hein. Eine Weile geschah nichts, bis der Mann hinter Hein - es war der Schuster von nebenan – ihn anstieß.
„Wulf Wille …“, stammelte der Rotschopf. „Also … Baumeister Wille, du bist angeklagt.“
Wulf saß weiter aufrecht am Tisch. Ein Scheit in der Feuerstelle barst und warf einen unheimlichen Lichtschein über sein Gesicht. Die Männer zuckten zusammen.
„Weshalb?“, fragte Wulf.
Suchend sah sich Hein um.
„Brandstiftung“, murmelte einer.
„Hexerei, auch Hexerei!“, rief ein anderer. „Und …“
    W eiter kam der Sprecher nicht, denn er wurde vom Schuster unterbrochen. „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Anklage zu erheben. Wir sollen dich nur zum Rat bringen. Jetzt zier dich nicht länger und komm einfach mit, Wulf.“
„Nur eine Frage noch. Wann ist die Anhörung?“
„Zur Mittagsstunde“, antwortete der Rotschopf.
Der Baumeister erhob sich langsam, und Anna bemerkte verwundert, wie alt er plötzlich aussah. Er wandte sich zu seiner Tochter um.
„Halt es wie besprochen, hörst du?“, ermahnte er sie.
Anna konnte nicht sprechen, nur nicken. Erst als die Männer schon draußen waren, stürzte sie hinter ihnen zur Tür hinaus.
„Vater!“, rief sie verzweifelt.
„Schon gut, Kind, geh hinein! Tu, was ich dir gesagt habe.“
Doch Anna stand nur zitternd da, allein und halb von Sinnen vor Sorge. Erst als der Vater nicht mehr zu sehen war, rannte sie ins Haus und warf sich schluchzend auf die Bettstatt.

Die Ziegen meckerten kläglich. Anna schnäuzte sich und atmete tief durch. Es war schon hell; sie schlüpfte in ihr Kleid und in die Lederschuhe.
„Schon gut, ich komme ja“, murmelte sie.
Den Schemel in der einen, den Eimer in der anderen Hand ging sie zu den Ziegen. Die kleinere, Fine, hatte schon ein geschwollenes Euter. Schnell griff Anna zu, um ihr Erleichterung zu verschaffen. Doch die Geiß bockte und traf sie mit den zierlichen Hufen am Schienbein. Erneut schluchzte

Weitere Kostenlose Bücher