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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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aus.
    Während Anna mit dem Vater Schritt zu halten versuchte, ging sie mit sich zu Rate. Gilbert war nicht in der Messe gewesen - das war gut. Aber sie wusste auch, dass sie dem Ratsherrn nicht ewig aus dem Weg gehen konnte.
    „Willst du sehen, was wir geschafft haben seit dem letzten Sonntag?“ , fragte der Baumeister.
Sie nickte.
Wulf trat auf das Portal zu, und Anna ging hinter ihm. Der Baumeister war schon fast im Innern verschwunden, als ein dringlicher Ruf Vater und Tochter wieder ins Freie holte. „Wulf, warte!“
„Arnulf! Wir haben dich wieder einmal im Gottesdienst vermisst. Ist etwas mit deiner Frau?“
„Ja, das heißt … nein, eigentlich nicht.“
Er musterte Anna und trat von einem Bein auf das andere.
„Tritt ein Stück zur Seite, Kind!“, raunte Wulf.
    Anna tat , wie ihr geheißen, doch Arnulf sprach so laut, dass sie dennoch jedes Wort mitbekam.
„Sie darf wieder aufstehen, ich hab die Amme unterwegs getroffen. Meine Frau will mich überraschen, sagt die Amme, die Sache ist nur die … ich war länger nicht in der Kirche. Ich …“
Arnulf senkte die Stimme zu einem Flüstern, und Anna konnte nichts mehr verstehen. Doch an der Art, wie ihr Vater das Gesicht verzog, war unschwer abzulesen, dass ihm das Gehörte nicht gefiel.
„Arnulf, Lieber!“
Gegen die herbstliche Kälte in weite Tücher gehüllt, stapfte Arnulfs Frau Liswetha auf die kleine Gruppe zu. Arnulf nahm sie behutsam bei der Hand, und Anna grüßte artig. Wulf Wille nickte der Schwangeren freundlich zu.
„Wie geht es dem Kind, Liswetha?“, fragte er.
„Es ruht fest in meinem Schoß. Das liegt sicher daran, dass dieser Mann“ - sie griff nach Arnulfs anderer Hand - „jeden Sonntag um sein Seelenheil betet, damit wir nicht noch ein Kind verlieren. Dieses Mal wird alles gut, so Gott will.“
Sie lächelte ihren Mann an, doch der hatte nur Augen für Wulf. Der Baumeister räusperte sich und neigte beinahe unmerklich den Kopf.
„Dann gib gut auf euch acht, damit nicht zu guter Letzt doch noch etwas passiert.“
Er nickte den beiden noch einmal zu und wartete höflich, bis Arnulf sein Weib ein Stück des Weges entlanggeführt hatte. Erst dann wandte Wulf sich ab, um wieder in die Kirche zu treten.
In diesem Moment ächzte und rumpelte es über ihnen. Der eichene Sturz über dem Portal barst!
Wulf packte Anna, stieß sie vom Eingang fort und schleuderte sie zu Boden, wo er sich schützend über sie warf. Anna lugte zwischen dem Ohr und der Schulter ihres Vaters hindurch. Beinahe erwartete sie, dass der gesamte Rohbau zusammenstürzte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, doch nichts geschah. Das Gebälk knarrte noch einmal bedrohlich und kam dann zur Ruhe. Wulf sprang auf die Füße und bückte sich, um ihr aufzuhelfen.
„Bist du unverletzt?“, fragte er.
„Ja“, sagte Anna. Am liebsten wäre sie sitzen geblieben, denn ihr tat alles weh. Der Lärm war weithin zu hören gewesen. Unter den Ersten, die heranstürmten, war Arnulf, dessen Frau bleich in sicherer Entfernung verharrte.
„Wie konnte das passieren?“, fragte Arnulf.
„Wie groß ist der Schaden?“, rief ein anderer Arbeiter.
Wulf Wille legte den Kopf in den Nacken und schirmte die Augen gegen das grelle Mittagslicht ab. „Es scheint nur der eine Balken gebrochen zu sein!“, rief er erleichtert aus. „Das ist schnell ausgebessert“, fügte er mit lauter Stimme hinzu. „Wenigstens ist nicht wieder ein Feuer ausgebrochen.“
Gelächter, aufgeregtes Geschnatter und erlöstes Gemurmel breiteten sich aus. Nur Anna starrte noch immer entsetzt zum Dachstuhl hinauf. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, gefror ihr das Blut schier in den Adern.
In der Luft über dem Rohbau stiegen an mehreren Stellen gleichzeitig fettige schwarze Rauchwolken auf.
„Es brennt!“ Ihr erster Schrei war nur ein Krächzen, erst der zweite wurde gehört.
„Vater - es brennt!“
    Jäh brach die Hölle los.
„Wasser, wir brauchen Wasser!“ Alles lief durcheinander, um zu helfen. Steif wie ein Stock stand Anna da. Erst als sie angerempelt wurde, begriff sie, was los war. Man würde die Ledereimer nicht finden, denn irgendjemand hatte sie am Tag zuvor von der Baustelle entfernt.
„Wo sind die Eimer?“
„Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen …“
„Lauft zu den Häusern! Fragt nach Eimern!“
Die Stimme kannte Anna, es war die ihres Vaters. Der Baumeister stand vor dem Kirchenportal und erteilte Anweisungen in alle Richtungen. Ihr Herz klopfte

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