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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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es nicht auch sein Tod sein?
    Nicht, wenn ich noch dieses Letzte tue. Nicht, wenn ich mich von meinen Sünden befreien kann.
    Unvermittelt bog er vom Weg ab und schritt eilig über schmale Brücken und durch gewundene, calle genannte Gässchen zurück zur Riva degli Schiavoni. Hier und da brannten Kerzen in Heiligennischen und erhellten mit ihrem Glanz das Gesicht der Jungfrau Maria.
    Ich wage es nicht, ihr ins Antlitz zu schauen, noch nicht.
    Endlich erblickte er den warmen Lichtschein, der aus dem Waisenhaus Ospedale della Pietä fiel, und hörte den leisen Klang der Violen, der aus dem Inneren drang.
    Vielleicht ist sie es, die da spielt - ich wünschte, es wäre so, aber ich werde es nie erfahren.
    Er ging an einem vergitterten Fenster vorüber, ohne einen Blick hineinzuwerfen, und schlug an die Tür. Als die Magd mit einer Kerze erschien, raunte er ihr, ehe sie fragen konnte, «Padre Tommaso - subitol» zu. Er kannte die Magd - ein mürrisches Frauenzimmer, das sich gern stur stellte -, doch heute Abend klang seine Stimme so eindringlich, dass sie sich auf dem Absatz umdrehte und davoneilte, um den Priester zu holen.
    «Signore?»
    Corradino öffnete seinen Umhang, zog einen mit Blattgold verzierten Lederbeutel hervor und steckte das Büchlein mit den Pergamentseiten hinein. Aus diesen Aufzeichnungen würde sie erfahren, was geschehen war, und vielleicht würde sie ihm eines Tages verzeihen. Er blickte sich rasch in der düsteren Gasse um - nein, es konnte ihn keiner gesehen haben.
    Sie dürfen nicht wissen, dass sie das Buch hat.
    Corradino flüsterte so leise, dass nur der Priester ihn hören konnte: «Padre, nehmt dieses Geld für die Waisen der Pietä.» Mit den üblichen Dankesworten wollte der Priester nach dem Beutel greifen, doch Corradino hielt das Täschchen fest, bis er gezwungen war, ihm in die Augen zu blicken. Pater Tommaso allein sollte wissen, wer er war.
    «Für die Waisen», wiederholte Corradino mit Nachdruck.
    Überrascht weiteten sich die Augen des Priesters. Er hatte ihn erkannt. Der Geistliche drehte die Hand um, mit der Corradino ihm den Beutel hinhielt, und betrachtete aufmerksam seine Fingerspitzen. Sie waren ganz glatt, ohne Linien. Als er zum Sprechen ansetzte, blitzten die Augen hinter der Maske warnend auf. Da sagte der Pater bloß: «Ich werde dafür sorgen, dass sie es bekommen.» Und dann fügte er hinzu, so als wüsste er, was geschehen würde: «Möge Gott Euch beschützen.»    Für einen Augenblick trafen sich eine kalte und eine warme Hand, dann fiel die Tür ins Schloss.
    Ziellos setzte Corradino seinen Weg fort. Als er weit genug von dem Waisenhaus entfernt war, nahm er endlich seine Maske ab.
    Soll ich einfach weitergehen, bis sie mich einholen? Wie wird es vor sich gehen?
    Plötzlich wusste er, wohin er sich wenden würde. Die Nacht brach herein, während er durch die Straßen eilte, und die Wellen des Kanals schlugen leise an die Ränder der Calli. Es klang wie ein Lebewohl. Nun vernahm Corradino die Schritte, die ihm in gleichmäßigem Abstand folgten. Er lief bis zur Calle della Morta - der Straße des Todes -, dort blieb er erwartungsvoll stehen. Die Schritte verhallten. Ohne sich umzudrehen, wandte Corradino sein Gesicht zum Kanal und fragte leise: «Wird Leonora in Sicherheit sein?»
    Das Schweigen schien kein Ende nehmen zu wollen. Dann endlich antwortete eine Stimme, trocken wie Staub: «Ja. Ihr habt das Ehrenwort der Zehn.»
    Corradino atmete erleichtert auf. Jetzt war er bereit für das Ende.
    Als das Messer in seinen Rücken drang, lächelte er wissend, noch bevor er den Schmerz spürte. So glatt und geschmeidig, wie das Messer zwischen seine Rippen glitt, konnte das nur eines bedeuten. Er lachte freudlos auf -das alles hatte etwas Ironisches. Da war er extra zum Hafen geeilt, um seinem Tod einen würdevollen Glanz zu verleihen, und jetzt das. Wie töricht war er doch gewesen, sich für einen Helden zu halten, der mit großartiger Geste sein Leben opferte! In Wahrheit waren sie es gewesen, die den letzten Akt theatralisch in Szene gesetzt hatten. Überaus passend hatten sie seinen Abgang geplant - wie das Ende eines Maskenballs. Ein wahrhaft venezianischer Abgang. Sie hatten ihn mit einem Dolch aus Glas getötet - aus Muranoglas.
    Wahrscheinlich habe sogar ich selbst ihn gefertigt.
    Die Luft wurde knapp, und sein Lachen wandelte sich in ein flaches Röcheln. Er spürte, wie der Mörder die Klinge herumdrehte, um den Griff abzubrechen, und wie sich die Wunde

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