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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Gewissen hatte. Sollte er umdrehen und zu Leonora zurückkehren oder sie erst später in ihrer Wohnung aufsuchen? Ach, er wusste gar nicht, ob es Sinn machte, überhaupt zu ihr zurückzukehren.
    Er hatte Kopfschmerzen und brauchte ein stilles Plätzchen, wo er ein wenig zur Ruhe kommen konnte. Auf dem Weg zum Arsenale kam er an einer Kirche mit einer einladenden großen Tür vorüber und stolperte hinein. Nach dem hellen Sonnenlicht kam ihm die dunkle, kühle Stille gerade recht. Endlich war er allein - abgesehen von einem Küster, der in der Marienkapelle die Kerzen für die Messe anzündete. Der Geruch nach Weihrauch weckte bei Alessandro Erinnerungen an seine Kindheit, als er Messdiener gewesen war. Seitdem hatte er mit der Kirche nicht mehr viel im Sinn gehabt. Doch als er sich jetzt auf der kühlen Bank niederließ, stellte er fest, dass er schon einmal in diesem Gotteshaus gewesen war. In der Dunkelheit über seinem Kopf glitzerte ein kunstvoller Kronleuchter. Er konnte sich noch gut an dieses Wunderwerk aus spinnwebfeinem Glas erinnern. Santa Maria della Pietä.
    Alessandro musste über diese Ironie des Zufalls lächeln. Er war hergekommen, um Corradino zu entgehen, und stieß gerade hier auf eines seiner Meisterwerke.    Doch die Kirche hatte noch eine andere Bedeutung für Alessandro - hier war er zum ersten Mal Leonora begegnet. Er musste lächeln, als er daran dachte, wie sie sich damals verwirrt von ihm weggedreht hatte, als sich ihre Augen trafen. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er zu ihr zurückkehren würde, dass er mit ihr leben wollte. Sie war halsstarrig und verbohrt, aber er liebte sie. Und dann war da noch das Baby. Ihr Baby.
    Und schon waren seine Gedanken wieder bei Corradino. Auch er hatte ein Kind gehabt, ebenfalls eine Leonora. Alessandro fielen Leonoras Worte wieder ein: «Aber sie ist doch gar nicht gestorben. Sie lebte glücklich bis an ihr Ende in Venedig.» Ihre Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf, und plötzlich durchzuckte ihn eine Erkenntnis.
    Ja, genau so musste es gewesen sein. Sie hatte genau hier gelebt.
    Vor seinem geistigen Auge erstand das Bild der «Pietä», ein beliebtes Motiv der Renaissancekünstler - die Jungfrau Maria mit dem toten Jesus auf dem Schoß - als Verkörperung des Mitleids. In seinen Gedanken veränderte sich das Bild: er selbst und sein ungeborenes Kind und Corradino, der seine Tochter im Arm hielt. Alessandro sprang auf, als habe er eine Offenbarung gehabt. Corradino war ebenso wenig imstande gewesen, sein Kind zu verraten oder es im Stich zu lassen wie er selbst. Leonora hatte recht - um sein eigen Fleisch und Blut zu retten, hatte er bestimmt alle Widrigkeiten überwunden und jeder Gefahr getrotzt. Mit leisen Schritten ging Alessandro hinüber zum Küster, der noch immer mit den Kerzen beschäftigt war, und stellte ihm eine Frage. Plötzlich fühlte er sich Corradino Manin sehr nahe.
     

Kapitel 36
    Quecksilber
    Jacques fragte sich, wo Corradino blieb. Bereits seit Stunden wartete er in der Glasbläserwerkstatt in Versailles auf ihn. Zum ersten Mal war er früher da als sein Meister. Trotzdem machte er sich keine Sorgen. Vielleicht hatte der König Corradino zu sich gerufen - Jacques wusste, dass sein Lehrer Protektion von höchster Stelle genoss.
    Um sich die Wartezeit zu verkürzen, stocherte er in den Kohlen, polierte einige Werkzeuge und nutzte die Zeit, um die Werkstatt ein wenig aufzuräumen. Er brannte darauf, mit der Arbeit zu beginnen. Nachdem abermals geraume Zeit vergangen war, beschloss er, schon alles vorzubereiten. Zunächst goss er Wasser aus einem Kübel in die Versilberungswanne. Dann holte er ein Fläschchen Quecksilber und verteilte die Flüssigkeit behutsam auf der Wasseroberfläche, wo sie sich ausbreitete. Jacques achtete darauf, ganz langsam zu gießen, weil das Quecksilber sich sonst zu Kügelchen zusammenballte und keine glatte Oberfläche mehr zustande kam. Als er das Fläschchen anschließend auf einer Bank abstellte, fiel ein vollkommen runder Tropfen auf seinen Zeigefinger. Um ein Haar hätte er ihn abgeleckt, wie er es tat, wenn er beim Zubereiten seiner kärglichen Mahlzeiten etwas verschüttete. Doch dann entsann er sich Corradinos Warnung. Schon eine winzige Menge Quecksilber zu verschlucken konnte den Tod bedeuten. Sorgfältig wischte er den Tropfen an seinem Wams ab, bevor sein Blick wieder von der spiegelglatten silbrigen Flüssigkeit im Bottich angezogen wurde. So versunken    war er in sein eigenes

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