Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
wie eine edle Römerin von der Art, die Sandro früher verehrt hatte.
Am Fenster stehend, wartete sie auf ihn. Es gingen so viele Menschen auf der Straße vorüber, dass sie ihn beinahe übersah. Sie hielt nach einer Kutte Ausschau, doch er trug ein weltliches Gewand.
Im ersten Moment erschrak sie, so wie man erschrickt, wenn der größte Wunsch plötzlich wahr wird. Sie legte ihre Fingerspitzen auf das Fenster und atmete gegen das Glas.
»Geht es dir nicht gut?«, rief Carlotta.
»Es ist alles in Ordnung«, antwortete Antonia, ohne Sandro aus den Augen zu lassen.
Er trug rote Strümpfe, ein weißes Hemd, eine rote Weste und einen schwarzen Gehrock darüber. Dazu einen schwarzen Hut und schwarze Schuhe. Keine Spur mehr von dem Jesuiten, der er gestern noch gewesen war. Über Nacht war er ihr Geliebter geworden.
Sie lief aus dem Atelier und ihm entgegen. Als sie sich sahen, stand er auf der unteren Schwelle der Treppe des Palazzo Rosato, sie auf der oberen. Stufe für Stufe, sich betrachtend, kamen sie sich näher.
Als sie sich in der Mitte trafen, sagte er: »Signorina«, und lüpfte seinen Hut.
Sie knickste. »Signore.«
Sandro und sie schmunzelten, dann nahm er ihre Hand. »Ich bin froh, dass Ihr gesund seid, vor mir steht, mit mir sprechen könnt, lächeln könnt … Ich kann nicht sagen, wie froh ich bin.«
Sie bemerkte seine Verletzungen an der Wange und der Hand.
»Das ist nichts weiter«, beruhigte er sie. »Ein Kampf mit Matthias, den ich ruhmlos verlor, und ein ungeschickter Griff nach Innocentos Dolch. Ich bin nicht zum Krieger geboren.«
Sie wartete darauf, dass er sie umarmte. »Innocento«, sagte sie, um irgendetwas zu sagen, »dass Ihr auf ihn gekommen seid – erstaunlich.«
Als sie sich zuletzt gesehen hatten, waren Matthias und Luis für sie die Täter gewesen. Der ursprüngliche Plan, den Sandro und sie zusammen ausgetüftelt hatten, hatte vorgesehen, dass Luis mittels des von ihr geschriebenen Briefes zum Fluss gelockt und von Sandro in ein Gespräch verwickelt werden sollte. Die Hoffnung war, Luis würde – im Glauben, mit Sandro allein zu sein – sich in diesem Gespräch verraten. Forli oder einige Wachen sollten sich im Gebüsch verstecken und Zeugen des Geständnisses werden. Doch es war alles anders gekommen.
Sandro erwiderte: »Eure Entdeckung des Bündnisses von Luis und Matthias hat alles ins Rollen gebracht. Die Ehre gebührt also genauso Euch wie mir – falls man hier von Ehre sprechen kann. Denn nichts von dem, was wir enthüllt haben, wird öffentlich werden. Der Papst sperrt Innocento in eine Villa, und Luis und Matthias dürfen weiter ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Es gibt keine Schuldigen, nur einen toten Bettler.«
Diese Ungerechtigkeit traf sie weniger als ihn. Sie kannte keine Rachegefühle. Vielleicht wollte sie einfach nur mit allem abschließen, was in Trient geschehen war – mit fast allem.
»Wir sind ein gutes Gespann«, sagte sie und lachte nervös. »Nicht wahr?«
Er nickte. »So gut, dass der Papst …« Er zögerte. »Er hat mich befördert und nach Rom versetzt.«
Sie sah ihn entsetzt an. »Aber ich dachte … Die Kleidung …«
»Nein, ich … ich wollte wenigstens heute, wenigstens ein paar Stunden lang, während wir tanzen … Ich bin noch immer Jesuit, Antonia.«
Er redete sehr schnell, als schäme er sich ein bisschen dafür: »Mag sein, dass es sich dumm anhört, aber ich glaube an so etwas wie Bestimmung, daran, dass jedem von uns eine Aufgabe innewohnt, und um diese Aufgabe zu erfüllen, haben wir unsere Begabungen bekommen. Eure Gabe ist die Glasmalerei, die Fähigkeit zur – zur Ekstase. Ihr packt die Menschen unmittelbar und zwingt sie zur größten Ehrfurcht. Das geht nur mit einem unruhigen, erregten, wunderbaren Charakter wie Eurem. Aber ich … ich habe meine eigene Aufgabe. Jahrelang hat Luis mich davon abgehalten, etwas Nützliches zu tun, und jetzt ist es mir erstmals wieder gelungen – auch wenn das Ergebnis bescheiden ist. Ich habe etwas geschaffen, etwas Eigenes bewirkt, so klein es auch sein mag. Der Papst hätte mich einsperren und den Schlüssel wegwerfen können, doch er hat es nicht getan. Vor sieben Jahren, als ich mein Verbrechen beging, hätte ich schon einmal in den Kerker kommen können, wenn Matthias mich angezeigt hätte. Doch er entschied sich für etwas anderes und erpresste meine Mutter, die mich dazu brachte, in den Orden einzutreten. Auf diese Weise wurde ich weder Kaufmann – wofür ich keine
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