Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
ersten Mal.
Als er sich von ihr löste, bekamen seine Augen für einen kurzen Moment einen wässrigen Glanz und den Ausdruck von Entrücktheit.
Der Schlag seiner flachen Hand traf Carlotta auf die Wange und warf sie zu Boden.
Sie blieb liegen. Die Fliesen waren kalt, Oktoberfliesen, und kühlten ein wenig ihre heiße Wange. Carlotta ertrug alles. Sie hätte aus dem Fenster schreien können, dass der angesehene Bischof von Verona, einer der Delegierten des Konzils, sie schlage und sich an ihr vergehe. Auch hätte sie sich wehren können. So schwach war sie nicht, um einen alten Mann mit dünnen Armen nicht kampfunfähig zu treten. Aber sie nahm es auf sich. So bitter es war, sie brauchte Bertani noch. Bevor er ihr nicht das Schriftstück gegeben hatte, das sie benötigte wie ein Dürstender das Wasser, war sie seine Sklavin.
Er zog sie auf die Füße. »Mach weiter«, sagte er, als sei nichts geschehen.
Er legte sich auf das Bett, und Carlotta wollte soeben mit gefalteten Händen auf seinen Körper kriechen, als aus dem Nebenzimmer Geräusche drangen.
»Was ist da los?« Bertani schreckte auf.
»Vielleicht ein Diener«, sagte Carlotta.
»Ich habe alle Diener fortgeschickt, das Haus ist leer.«
Schritte waren zu hören, Absätze von Stiefeln auf den Fliesen, ein unheimlicher Moment der Stille, dann wieder Schritte. Die Kerze flackerte im Luftzug, der durch einen offenen Spalt in der Tür drang, und verlosch. Nur das Kaminfeuer prasselte noch warm und heftig.
Stand die fremde Person schon an der Tür und beobachtete sie?
Bertani schob Carlotta zur Seite und zog eine Tunika über.
»Wer ist da?«, rief er und stand zögernd auf.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis eine Antwort kam. »Exzellenz«, rief eine männliche Stimme. »Bitte, wo seid Ihr? Verzeiht, aber ich muss Euch sprechen.«
Bertani warf sich noch einen Umhang über die Tunika und ging in den Nebenraum. Es gab einen kurzen Wortwechsel zwischen ihm und dem Fremden, dann steckte er den Kopf ins Schlafgemach, sagte Carlotta, es würde einen Moment dauern, und schloss die Tür von außen.
Carlotta hatte keinen Versuch gemacht, sich für den Fall zu verhüllen, dass der Fremde den Raum betreten hätte. In tausend Nächten hatte man sie nackt gesehen, und mit der Scham war es anders als mit dem Schmerz – die Scham verging mit der Zeit. Wie so viele andere Gefühle war sie langsam in ihr erstorben, Blättern gleich, die der kalte Herbstwind von den Bäumen riss. Carlotta war einsam geworden in diesen vier Jahren als Konkubine, nicht nur hatte sie viele Menschen verloren, sondern auch Empfindungen. Vorfreude, Interesse, die Lust daran, sich schön zu machen, diese vielen wunderbaren Gefühle des Alltags, an die man gar nicht denkt, wenn man sie hat – sie alle waren gegangen. Hier in Trient hatte sie zwei gute, freundliche Menschen kennengelernt, die sie sehr mochte, doch Zuneigung und Freundschaft hatten keine Zukunft in Carlottas Leben.
Sie öffnete eines der Fenster. Durch die Nacht zeichneten sich die Silhouetten der Bergbuckel ab, die Trient fast vollständig umgaben. An klaren Tagen leuchteten sie wie Gold, und ihre Hänge voll von Zedern strahlten etwas Majestätisches aus. Doch nachts waren es Gespenster, Riesen, gewaltige Schatten. Von ihnen wehte ein kalter Hauch herunter, dessen Böen Carlotta wie Posaunenstöße entgegenschlugen und sie erschauern ließen. Der Wind trug den Geruch modriger Blätter vor sich her. In allem entdeckte sie Verfall und Tod.
Eilig schloss sie das Fenster wieder, kauerte sich vor den Kamin und trank von dem Wein, der bereitstand. Bertanis Quartier war gemütlich, kein Palazzo, aber ein gut ausgestattetes Haus unweit des Domplatzes. Er hatte Glück mit dieser Unterkunft gehabt. Viele Prälaten strömten derzeit in die Stadt, zu viele, um sie alle angemessen unterzubringen. In drei Tagen würde die Welt hierherblicken, wenn das große Konzil, das Concilium Tridentinum, zusammentreten und die für die Christenheit derzeit dringendste Frage beraten würde: Die Zukunft der Kirche, ja, der Christenheit, hing davon ab.
Carlotta verstand kaum etwas von diesen Dingen, aber sie wusste, dass Bertani dabei eine bedeutende Rolle spielte. Sie traute ihm ohne Weiteres zu, dass er einen scharfen Verstand besaß. Längst hatte sie aufgehört, sich darüber zu wundern, dass hohe Geistliche tagsüber kraftvoll und nachts Sklaven ihrer Leidenschaft waren, bei Licht fromm und bei Dunkelheit besessen sein konnten. Sie waren
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