Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
ausdrucksloser Miene.
»Manchmal. Doc ist seiner Meinung nach immer noch verheiratet.«
»Ich sehe nicht ganz ein, was Doc in Ihrer Selbsthilfegruppe sucht«, sagte ich.
»Wieso?«
»Seine Frau ist bei einem Unfall umgekommen. Ich nehme an, die meisten Leute in Ihrer Gruppe haben Angehörige bei Straftaten verloren.«
»Docs Frau arbeitete für ein öffentliches Versorgungsunternehmen. Man ließ sie bei schlechtem Wetter nach Colorado fliegen. Doc gibt der Firmenleitung die Schuld an ihrem Tod.«
»Das hat er mir gegenüber nie gesagt«, sagte ich.
»Manchmal bekommen die Leute Angst vor einem, wenn man seine Gedanken preisgibt«, erwiderte sie.
Aber ich wusste, dass sie jetzt von sich sprach, nicht von Doc. Er hatte mir von ihrem Mann erzählt, einem Börsenmakler aus San Francisco, der vorzeitig in den Ruhestand gegangen war und vor sechs Jahren eine Ranch im Jocko Valley gekauft hatte. Sie hätten ein herrliches Leben haben können. Stattdessen gab es Gerüchte, dass er in San Francisco Geld veruntreut und gewaschen hätte. Er hatte seine Frau des Ehebruchs bezichtigt, die Scheidung eingereicht und das Recht zugesprochen bekommen, jeden Sommer seinen Sohn besuchen zu dürfen. Er war nach Cœur d’Alene gezogen, jedes Jahr im Juni nach Montana zurückgekommen und hatte seinen Jungen abgeholt.
Vor zwei Jahren, am langen Wochenende anlässlich des Unabhängigkeitstages, hatte man im Clearwater National Forest die Leichen von Vater und Sohn im Kofferraum vom Auto des Vaters gefunden. Der Wagen war in Brand gesteckt worden.
»Warum schauen Sie mich so an?«, sagte sie.
»Nur so.«
»Hat Doc Ihnen alles erzählt?«
»Ja.«
»Die Täter wurden nie gefasst. Damit zu leben ist das Allerschwerste. Der einzige Trost, den ich habe, ist, dass Isaac, mein Sohn, erschossen wurde, bevor das Auto in Brand gesteckt wurde. Jedenfalls hat das der Coroner gesagt. Aber manchmal lügen Coroner, um die Angehörigen zu schonen.«
Ich nahm meinen Hut von der Stuhllehne und drehte ihn in den Händen hin und her. Ich wollte ihr nicht in die Augen schauen.
»Heute Abend findet in Stevensville ein Rodeo statt. Ich würde Sie gern mitnehmen«, sagte ich.
Die Sonne ging hinter den Bitterroot Mountains unter, als wir die hölzerne Tribüne an der Arena hinaufstiegen. Die Luft war kühl und roch nach Hotdogs, getrocknetem Mist und aufgeschüttetem Heu. Der Himmel war hochsommerlich hell, und in der Ferne sah ich die in rotes Licht getauchten Umrisse der Sapphire Mountains und den schimmernden Lauf des Bitterroot River, der sich zwischen den Pappeln hindurchwand, deren Blätter wie Tausende grüner Schmetterlinge im Wind wogten.
»Es heißt, wenn man einmal nach Montana kommt, geht man nie wieder fort. Es sei denn, man ist nicht recht bei Trost«, sagte Cleo.
»Es ist klasse, schon richtig«, sagte ich. Doch ich wurde von der abendlichen Idylle abgelenkt, als ich eine junge Frau unten an den Einlassgattern stehen sah. Sie trug Wildlederstiefel, gebleichte Jeans, einen mit Silberscheiben beschlagenen Gürtel, der nicht durch die Schlaufen gefädelt war, ein T-Shirt und einen Cowboyhut aus Stroh mit seitlich hochgerollter Krempe. Sie hatte einen Fuß auf den weißen Lattenzaun gestellt und sah drei Cowboys zu, die einen Bullen hinten in das Gatter trieben.
»Erkennen Sie das Mädchen da unten?«, sagte ich.
»Nein«, sagte Cleo.
»Die Bikerbraut aus der Bar in Lincoln. Sie wollte uns wegen Doc warnen. Sie dachte, ihm könnte etwas angetan werden.«
»Diejenige, die sich mit der Kassiererin angelegt hat?«, sagte Cleo.
»Sie hat mir den vollen Namen von dem Biker genannt – Lamar Ellison. Als wollte sie dafür sorgen, dass ich ihn mir merke und jemand anderem nennen kann.«
»Ich möchte diese Leute lieber vergessen«, sagte Cleo.
»Sie hat mich für einen Cop gehalten. So was bringen nur zweierlei Typen fertig. Ausgebuffte Ex-Knackis und andere Cops.«
»Wen kümmert es, was so eine Person macht?«, sagte sie.
Ich hakte nicht weiter nach.
Zwei Männer mit kahl geschorenen Köpfen gesellten sich zu dem Mädchen am Gatter. Sie hätten Biker oder Fallschirmjäger im Urlaub sein können, aber aller Wahrscheinlichkeit nach waren es lediglich dumpfe Frauenfeinde, die sich tagtäglich von ihrer Männlichkeit überzeugen mussten.
Ein dritter Mann, mit weißen Haaren und gestutztem Bart, gesellte sich zu ihnen. Er rauchte eine Maiskolbenpfeife und stand stocksteif da, während er mit den anderen redete, schaute sie aber nicht
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