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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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›So‹, weil es gerade möglich war und geschehen konnte, das ist die Wahrheit. Es hat keinen Sinn, am Schluss noch nach Einzelheiten zu forschen. Das Wesentliche, die Wahrheit aber soll und muß man herausfinden wollen, denn wozu hat man sonst gelebt? Wozu hat man einundvierzig Jahre ertragen? Wozu hätte ich dich sonst erwartet - und dich nicht etwa als den treulosen Bruder, den entflohenen Freund erwartet, nein, sondern so erwartet, als sei ich gleichzeitig Richter und Opfer und erwarte den Angeklagten. Und jetzt sitzt er da, und ich frage, und er will antworten. Habe ich aber richtig gefragt, habe ich alles gesagt, was er wissen muß, auch er, der Täter und Angeklagte, wenn er die Wahrheit sagen will? Denn siehst du, auch Krisztina hat geantwortet - nicht nur mit ihrem Tod. Eines Tages, Jahre nach ihrem Tod, habe ich das in gelben Samt gebundene Tagebuch gefunden, das ich in einer Nacht - in einer für dich sehr entscheidenden Nacht, nach dem Tag der Jagd - vergeblich in der Schublade ihres Schreibtisches suchte. Das Buch war irgendwo verschwunden, du bist anderntags abgereist, und ich sprach nie mehr mit Krisztina. Dann ist sie gestorben, du lebtest in der Ferne, ich lebte in diesem Haus, denn ich bin nach Krisztinas Tod hierher zurückgezogen, weil ich in den Zimmern leben und sterben wollte, wo ich zur Welt gekommen war und wo auch meine Vorfahren gelebt haben und gestorben sind. Und so wird es auch sein, denn die Dinge haben ihre Ordnung, die von unserem Willen unabhängig ist. Aber auch das Buch, das in gelben Samt gebundene Buch, lebte auf seine rätselhafte Art, dieses seltsame ›Buch der Ehrlichkeit‹ dieses beängstigende Geständnis von Krisztinas heimlichem Wesen, ihrer Liebe, ihren Zweifeln, alles in unbedingter Offenheit. Es lebte, und ich habe es an einem viel späteren Tag unter Krisztinas Sachen gefunden, in einer Schachtel, in der sie das auf Elfenbein gemalte Bild ihrer Mutter, den Siegelring ihres Vaters, eine vertrocknete Orchidee - die sie von mir bekommen hatte - und dieses mit einem blauen Band verschnürte Buch aufbewahrte. Sie hatte das Band mit dem Ring ihres Vaters versiegelt. Da ist das Buch«, sagt er, holt es hervor und streckt es seinem Freund entgegen. »Das ist, was von Krisztina geblieben ist. Ich habe das Band nicht aufgeschnitten, denn dafür hatte ich keine schriftliche Ermächtigung, sie hat dieser Hinterlassenschaft keine Gebrauchsanweisung beigelegt, und so konnte ich auch nicht wissen, ob sie dieses Geständnis von jenseits des Grabes mir schickt oder dir. Es ist wahrscheinlich, dass in diesem Buch die Wahrheit steht, denn Krisztina hat nie gelogen«, sagte er streng und ehrfürchtig.
    Doch der Freund streckt die Hand nach dem Buch nicht aus.
    Den Kopf in den Händen, sitzt er reglos und blickt auf das schmale, gelbsamtene Buch mit dem blauen Band und dem blauen Siegel. Er rührt sich nicht, zuckt nicht mit den Wimpern.
    »Willst du, dass wir Krisztinas Botschaft gemeinsam lesen?«, fragt der General.
    »Nein«, sagt Konrád.
    »Willst du es nicht«, fragt der General kalt und überheblich wie ein Vorgesetzter, »oder wagst du es nicht?«
    Sie blicken einander über dem Buch lange Sekunden in die Augen; der General hält es Konrád immer noch hin. Und seine Hand zittert nicht.
    »Auf diese Frage«, sagt der Gast, »antworte ich nicht.«
    »Ich verstehe«, sagt der General in seltsam zufriedenem Ton.
    Mit einer langsamen Bewegung wirft er das schmale Buch in die Glut. Sie beginnt dunkel zu glühen, nimmt das Opfer entgegen, saugt das Material des Buchs langsam und rauchend ein, kleine Flammen flackern aus der Asche auf. Sie schauen reglos zu, wie das Feuer auflodert, lebendig wird, gleichsam erfreut über die unerwartete Beute, wie es zu hecheln und zu flimmern beginnt, die Flamme schießt hoch hinauf, der Siegellack ist schon geschmolzen, der gelbe Samt brennt mit bitterem Rauch, die elfenbeingelben Seiten werden von unsichtbarer Hand geblättert, plötzlich scheint zwischen den Flammen Krisztinas Handschrift auf, die spitzen Buchstaben, die eine zu Staub zerfallene Hand einst zu Papier gebracht hat, jetzt werden Buchstaben, das Papier, das Buch zu Asche, der Hand gleich, die einst geschrieben hat. Nur noch schwarze Asche inmitten der Glut, seidig wie Trauerflor aus Moiré.
    Darauf schauen sie aufmerksam und wortlos, auf diese schwarzseidene Asche.
    »Jetzt«, sagt der General, »kannst du meine Frage beantworten. Es gibt keinen Zeugen mehr, der gegen dich aussagen

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