Die Glut
alles getan.‹ Das sind so Worte. Wahrscheinlich haben sie alles getan, was ihre lückenhaften Kenntnisse ermöglichten, was ihre Großspurigkeit und Eitelkeit nicht verhinderte. Man meldete mir jeden Abend, was im Schloss vor sich ging, acht Jahre lang, schon damals, als Krisztina noch nicht krank war, und dann später, als sie beschloss, krank zu werden und zu sterben. Ich glaube nämlich, dass man so etwas beschließen kann - ich weiß es jetzt sogar ganz sicher. Aber ich konnte Krisztina nicht helfen, weil zwischen uns ein Geheimnis war, das einzige, das man nicht verzeihen kann, das man aber besser nicht vor der Zeit aufbricht, denn man weiß ja nicht, was sich darunter noch verbirgt. Es gibt Schlimmeres als das Leiden und den Tod ... schlimmer ist es, seine Selbstachtung zu verlieren. Deshalb hatte ich Angst vor unserem Geheimnis, dem zwischen Krisztina, dir und mir. Es gibt etwas, das so verletzen, weh tun und brennen kann, dass vielleicht nicht einmal der Tod diese Qual aufzulösen vermag: Wenn ein Mensch oder zwei Menschen in einem das Selbstgefühl verletzen, ohne das man nicht Mensch bleiben kann. Eitelkeit, sagst du. Ja, Eitelkeit ... Und doch macht dieses Selbstgefühl die tiefe Bedeutung eines Menschenlebens aus. Deshalb fürchtete ich das Geheimnis. Deshalb geht man allerlei Kompromisse ein, auch billige und feige - blick dich unter den Menschen um, und du wirst allenthalben Teillösungen sehen: Der eine verlässt die, die er liebt, weil er das Geheimnis fürchtet, der andere bleibt und schweigt und wartet unablässig auf eine Antwort ... Das habe ich gesehen. Das habe ich erlebt. Das ist nicht Feigheit, nein, sondern die letzte Verteidigungsmöglichkeit des Lebensinstinkts. Ich ging nach Hause, wartete bis zum Abend, zog dann ins Jagdhaus und wartete noch acht Jahre lang auf etwas, ein Wort, eine Nachricht. Aber Krisztina ist nicht gekommen. Vom Jagdhaus bis zum Schloss hier sind es im Wagen zwei Stunden. Doch diese zwei Stunden, diese zwanzig Kilometer waren für mich wahrscheinlich räumlich und zeitlich eine größere Distanz als für dich die Tropen. So ist meine Veranlagung, so bin ich erzogen worden, auf diese Art ergaben sich die Dinge. Hätte Krisztina eine Nachricht gesandt - irgendeine Nachricht -, wäre ihr Wille geschehen. Hätte sie gewünscht, dass ich dich zurückhole, wäre ich aufgebrochen, um dich auf der ganzen Welt zu suchen und zurückzuholen. Hätte sie gewünscht, dass ich dich töte, hätte ich dich auch am Ende der Welt gefunden und getötet. Hätte sie die Scheidung gewollt, hätte ich mich scheiden lassen. Aber sie wollte nichts. Denn auch sie war auf ihre Art eine Persönlichkeit, auf weibliche Art, auch sie war verletzt von denen, die sie liebte; von dem einen, weil er vor der Leidenschaft geflohen war, weil er sich nicht an einer schicksalhaften Bindung verbrennen mochte; von dem anderen, weil er die Wahrheit wusste, wartete und schwieg. Auch Krisztina hatte ihren Charakter, in einem anderen Sinn des Wortes, als wir Männer es kennen. Auch mit ihr geschah etwas in diesen Jahren, nicht nur mit dir und mir. Das Schicksal hatte uns berührt und hatte sich an uns vollzogen, und alle drei trugen wir dieses Los. Acht Jahre lang habe ich sie nicht gesehen. Acht Jahre lang ließ sie mich nicht rufen. Vorhin, als ich dich erwartete, um mit dir zu besprechen, was einmal besprochen werden muß, denn es bleibt uns nicht mehr viel Zeit, da habe ich von der Amme etwas erfahren: Ich habe erfahren, dass sie nach mir verlangte, als sie im Sterben lag. Nicht nach dir ... Und das sage ich nicht mit Befriedigung, aber auch nicht ohne, merk dir das wohl. Nach mir hat sie verlangt, und das ist auch etwas, wenn auch nicht viel ... Aber ich habe sie erst als Tote wiedergesehen. Eine schöne Tote. Noch jung, von der Einsamkeit nicht entstellt, und auch die Krankheit hatte ihre besondere Schönheit, die verschlossene, ernste Harmonie ihres Gesichts nicht berührt. Das alles geht dich aber nichts mehr an«, sagt er jetzt hochmütig. »Du lebtest in der Welt draußen, Krisztina starb. Ich lebte in einsamer Beleidigtheit, und Krisztina starb. Sie hat uns beiden nach ihrer Möglichkeit geantwortet; denn, siehst du, wer stirbt, der antwortet richtig und endgültig - manchmal glaube ich schon, dass nur die Toten endgültig antworten können. So war das also. Was anderes hätte sie nach den acht Jahren denn sagen können, als dass sie starb? ... Mehr kann man nicht sagen. Und damit hat sie alle Fragen
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