Die Götter 2. Das magische Zeichen
ihr unbeholfen eine Hand auf die Schulter. Dann hob er die andere Hand und berührte ihre Wange. Für einen Moment lehnte Zejabel das Gesicht dagegen, und in ihrem Blick lag tiefe Dankbarkeit. Gleich darauf trat auch Damián zu ihnen, um seiner Tante etwas Trost zu spenden. Diese Gesten schienen der einstigen Kahati ihren Mut und ihre Tatkraft zurückzugeben. Beherzt stieß sie sich von der Kommode ab, an der sie gelehnt hatte.
» Auf der Burg können wir nicht bleiben « , sagte sie. » Wir müssen so schnell wie möglich von hier fort. Ihr könnt mir unterwegs erzählen, was euch widerfahren ist. «
Nach einem letzten Blick auf ihren Sohn marschierte sie aus dem Zimmer. Josion hingegen behandelte sie weiterhin wie Luft.
Die Säcke und Bündel der jungen Leute waren längt gepackt und zusammengeschnürt, und so musste nur noch Zejabel ihre Reisevorbereitungen treffen. Die Zü verschwand in den Gemächern, die sie bis vor kurzem mit Nolan geteilt hatte, und ließ die anderen mit ihren schwarzen Gedanken allein. Jetzt grübelten alle über die furchtbaren Enthüllungen der letzten Dekanten nach. Vor allem Josion war tief erschüttert. Seine schlimmsten Ängste waren Wirklichkeit geworden: Sein Vater war tot, und der Dämon war zurückgekehrt. Außerdem hatte er seine Mutter wiedergesehen, auch wenn das natürlich wesentlich weniger tragisch war.
Er machte Zejabel keine Vorwürfe, weil sie das Ruderboot genommen hatte, das ihren Gefährten wahrscheinlich das Leben gerettet hätte. Zumindest hatte er nicht die Absicht, die Sache noch einmal zu erwähnen. Allerdings hatte Josion schon nach den ersten Dezillen ihres Wiedersehens feststellen müssen, dass sich Zejabel nicht verändert hatte. Sie war immer noch fest davon überzeugt, als Einzige im Besitz der Wahrheit zu sein. Daraus zog sie dann ihre Schlüsse und zwang anderen ihre Entscheidungen auf.
Josion war unsicher, ob er Zejabel folgen sollte, denn seine hart erkämpfte Freiheit wollte er nur ungern aufgeben. Nicht ohne Grund hatte er die Burg der Familie de Kercyan vier Jahre zuvor verlassen. Allerdings wusste er auch nicht, welchen Weg er sonst einschlagen sollte. Die Geschehnisse der Nacht hatten ihm zu denken gegeben: Sein Alleingang hätte ihn fast das Leben gekostet. Er war es gewohnt, als Einzelkämpfer loszuziehen, aber diesmal hatte er dadurch die Lage seiner Freunde nur verschlimmert. Er nahm sich fest vor, diesen Fehler nicht noch einmal zu begehen. Josion musste sich an den Gedanken gewöhnen, einer Gemeinschaft anzugehören.
Auch wenn Zejabel offenbar vorhatte, die Führung dieser Gemeinschaft zu übernehmen.
Während die Gefährten auf die Rückkehr der Zü warteten, betrachteten sie ein letztes Mal die Bilder, auf denen ihre Eltern und Großeltern zu sehen waren. Der Moment war umso bewegender, als sie sich die Gemälde diesmal in dem Wissen ansahen, dass die Porträtierten tot waren. Josion hingegen musste sich nicht nur von seinem toten Vater verabschieden, sondern auch von der Burg, auf der er aufgewachsen war. Jetzt, nach Nolans Tod, wollte er nie wieder an diesen Ort zurückkehren. Falls er die nächsten Tage überhaupt überlebte …
In diesem Moment trat Damián zu ihm und fragte, ob er die Tagebücher ihrer Vorfahren mitnehmen dürfe. Er stellte die Frage aus reiner Höflichkeit, schließlich konnte sie die Schriften nicht einfach zurücklassen, für den Fall, dass ihre Feinde die Burg durchsuchten. Josion nickte. Die Frage seines Cousins brachte ihn auf den Gedanken, dass sie vielleicht noch weitere Dinge von der Burg mitnehmen sollten. Waffen waren das Erste, was Josion in den Sinn kam. Er hatte sich bereits mit einem Zarratt bewaffnet, einem Dolch, der über eine Eisenkette mit einer schweren Keule verbunden war. Um sich selbst musste er sich also keine Sorgen machen, zumal die besten Waffen der Welt nichts nützten, falls tatsächlich ein Dämon hinter ihnen her war.
» Deine Mutter braucht aber lange « , meinte Maara nach einer Weile. » Du solltest mal nachsehen gehen. «
» Sie wird kommen, wenn sie so weit ist « , entgegnete Josion ruhig.
Plötzlich bemerkte er die Ungeduld der anderen. Guederic und Najel hatten bereits ihre Rucksäcke geschultert, Damián lief unruhig im Saal auf und ab, und Souanne stand am Fenster und seufzte in regelmäßigen Abständen gereizt. Mehr noch als er selbst hatten seine Freunde das Bedürfnis, die Burg so schnell wie möglich zu verlassen und etwas frische Luft zu atmen, um den Schmerz zu
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