Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
Vom Netzwerk:
in den Herrenraum, stellte ihn auf dem Bett der Eltern ab. Der Vater und Krugor feierten am Königshof, so daß die Frauen nun diesen Raum mitbenutzen konnten. Die Verbindungstür ließ sie vorsichtshalber offen.
    Seufzend kehrte Moria an den Webstuhl zurück und webte pflichtschuldig weiter, drückte jede gewebte Reihe fest. Endlich schlief Baby wieder ein. Die Ruhe war eine Wohltat.
    Moria fuhr prüfend über den Rand des Webstücks. Er war gerade. Fast jedenfalls. Wenn man nicht allzu genau hinsah. Einen so feinen, weichen und doch dichten Wollstoff hatte sie noch nie gewebt. Gerne hätte sie ihn etwas lockerer gelassen, dann wäre es schneller gegangen. Aber da ließ die Mutter nicht mit sich reden. Schließlich war es der Stoff für Morias Brautkleid.
    Sie lächelte. Würde er Lykos heißen, ihr Mann?
    Wieder sah sie sein Gesicht vor sich wie in dem kurzen Augenblick, als sie sich angesehen hatten. Und wieder schlug ihr Herz schneller, nur beim Gedanken daran.
    Jede Einzelheit rief sie sich ins Gedächtnis: den Schmuck aus den ungeheuerlichen Eberzähnen – was für ein mächtiger Krieger mußte er sein, wenn er einen solchen Keiler getötet hatte! –, die rasche Bewegung, mit der er den Mantel zugezogen hatte, damit sie nicht die blutigen Spuren seines letzten Kampfes sah – was für eine Feinfühligkeit! –, die achtungsvolle Art, wie er ihretwegen seinen Gefährten die rohen Reden verboten hatte – sie wußte es, obwohl sie nichts verstanden hatte, aber es waren meist rohe Reden, die Wolfskrieger untereinander führten, und selten machten sie sich die Mühe, dabei auf die sie bedienenden Mädchen zu achten ...
    Sie nickte. Ja, das alles zusammengenommen konnte nur eines bedeuten: Er war ein Held, und dennoch war er nicht gefühllos wie ihr Bruder Krugor. Er liebte sie.
    Was für ein Glück, wenn er wirklich um sie warb!
    Nein, nicht er: der König für ihn. So viel Ehre für ein Mädchen wie sie!
    Wenn er nur keinen roten Mantel trüge!
    Unwillkürlich schauderte sie.
    Sie runzelte die Stirn. Wie dumm sie war! Alle Wolfskrieger trugen rote Mäntel. Und wenn er sie heiratete, würde er bereits den schwarzen Mantel erworben haben.
    Sie drehte sich zur Schwägerin um: »Hast du gehört, wie der Kriegszug ausgegangen ist?«
    Agala hielt die Spindel an, wickelte den Faden auf. »Vermutlich ruhmvoll«, sagte sie. »Sonst hätte der König wohl nicht zum Fest geladen! Seit wann kümmern dich die Geschäfte der Männer?«
    Einen Augenblick war Moria in Versuchung, Agala von Lykos zu erzählen, aber ehe sie den Mut dazu fand, wurde nebenan die Tür zum Hof aufgerissen, und die kleinen Geschwister stürmten in den Herrenraum, schüttelten sich den Regen aus Haaren und Kleidern und rannten zur Ehrenbank, die dem Vater, Krugor und den Ehrengästen vorbehalten war.
    Moria beobachtete die Kleinen. Wie sich das Leben veränderte, wenn der Vater und Krugor nicht zu Hause waren. Wie übermütig dann die Spiele der Kleinen wurden und Regeln in Vergessenheit gerieten, die sonst mit peinlicher Genauigkeit beachtet wurden. Fast war es, als würden auch die Vögel lauter singen.
    »Ich täte der Vater sein!« erklärte der kleine Amrox gewichtig, nahm einen Besen wie einen Stab in die Hand und setzte sich auf die Bank – eben die Bank, auf der nur der Vater, Krugor oder ehrenwerte Gäste sitzen durften. »Und ihr tätet die Bauern sein!«
    Die kleinen Halbschwestern murrten etwas, gaben sich dann aber mit ihrer Rolle zufrieden und schleppten schwer an unsichtbaren Körben. Beide verbeugten sich tief. »Ich bringe Euch Gerste, Herr«, sagte die Größere. »Ich bringe auch Gerste«, ahmte die Kleinere nach.
    Amrox warf sich in die Brust und stieß mit dem Besen auf den festgestampften Boden. »So wenig?« fragte er streng.
    »Wir haben nicht mehr, die Ernte war schlecht«, sagte die Größere und verbeugte sich wieder.
    »Die Ernte war schlecht«, wiederholte die zweite.
    Amrox fuhr mit spitzem Zeigefinger auf sie zu. »Und das soll ich glauben«, schrie er. »Muß ich euch bestrafen?«
    Er warf seinen nassen weißen Mantel auf den Boden und setzte sich auf die Bank.
    Moria hob den Mantel auf und hängte ihn über eine Stange. Die Mutter reichte dem Vater Bier.
    Er trank, wischte sich den Mund und streckte sich. »Schön, wieder zu Hause zu sein!«
    Moria schüttete warmes Wasser in die Schale, kniete bei dem Vater nieder und hielt ihm das Wasser zur Handwaschung. Sie merkte kaum, was sie tat. Der König hat unserem Haus

Weitere Kostenlose Bücher