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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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bergen.
    Sie streichelte mit dem Daumen über den Stein.
    Eine wundersame Ruhe entströmte ihm, drang durch ihre Finger, ihren Arm, drang bis in ihr Herz.
    Die Kraft der Göttin.
    Sie schloß die Augen, atmete tief.
    Da öffneten sich die Wände der Grube, und sie war frei.
    Das Moor lag vor ihr. Sanft strich der Wind durch das Wollgras. Nebel lagen über dem Ried. Zwischen den Krüppelkiefern schimmerten rot die reifen Moosbeeren.
    Sie gelangte zu ihnen, ohne den Boden zu berühren.
    Sie bückte sich zu den Beeren, sog ihren säuerlichen Duft rin, pflückte sie, aß.
    Endlich wollte sie zurück in den Wald. Sie sah sich um: Moor, schwankender Boden, braune Tümpel.
    Sie wagte keinen Schritt zu machen, fürchtete, in jedem Augenblick zu versinken.
    Da strich sie über den Stein in ihrer Hand. »Hilf mir!« flüsterte sie.
    »Du hast mich gerufen?« Eine Gestalt kam über das
Moor
auf sie zu, in weit wallende schwarze Tücher gehüllt, ein dunkles, altes Gesicht. Die Großmutter? Nein, doch nicht. Fremder auch irgendwie vertraut.
    Die Worte kamen von selbst über ihre Lippen: »Ich brauche deine Hilfe!«
    »Ich weiß!« Eine kühle Hand faßte nach der ihren. Sicher wurde sie über das Moor geleitet.
    »Moria!« Der Vater war über ihr, hob sie aus der Grube, stellte sie auf die Füße. Sie schwankte. Jeder Muskel, jedes Gelenk schmerzte. In ihrer Hand verborgen der Stein.
    Die Abenddämmerung war hereingebrochen. Sie konnte sein Gesicht kaum sehen.
    »Was hast du mir zu sagen?«
    Dieser Satz, immer der gleiche Satz...
    Sie umklammerte den Stein.
    »Ich wollte Moosbeeren pflücken«, sagte sie heiser. »Ich weiß, ich darf nicht zum
Moor.
Aber – ich war dort. Und dann wußte ich nicht mehr, wie ich zurückkommen sollte.«
    »Du warst im Moor?« wiederholte der Vater. »Moria, es ist so tief, daß ein Kind darin versinken kann! Dein Ungehorsam hätte dich das Leben kosten können!«
    »Ja, Herr.«
    »Und wie bist du herausgekommen?«
    »Eine alte Frau. Irgendwann ist sie gekommen und
ha
mich an Land geführt.«
    »Wer war sie?«
    Sie schüttelte den Kopf: »Ich habe sie nicht gekannt.« »Nun, wer auch immer, sie hat dich gerettet, das ist dir hoffentlich klar!« »Ja, Herr.« »Und weil du mein Verbot übertreten hattest und Strafe
    fürchtetest, wolltest du es mir nicht sagen«, stellte er fest. Sie senkte den Kopf.
    »Du hättest dir die Grube ersparen können, wenn du es mir sofort gestanden hättest!«
    »Ja, Herr. Es tut mir leid.«
    »Ist das alles?«
    Nun war es soweit. Unausweichlich. Unabänderlich. Gegen das, was jetzt kam, konnte auch der Stein ihr nicht helfen.
    »Ich warte!« sagte er scharf.
    »Ich war Euch ungehorsam, Vater«, preßte sie hervor. »Ich habe Schläge verdient.«
    »Allerdings! Du wirst sie erhalten – morgen! Und bis zur Wintersonnenwende wirst du den Hof nicht mehr verlassen!« »Ja, Herr!«
    Ein letzter strenger Blick, dann ließ er sie stehen und ging den Gästen entgegen, die eben am Hoftor erschienen.
    Moria ließ die Hacke sinken. Nicht auszudenken, wenn der Vater damals die Wahrheit erfahren hätte.
    Was war dagegen ein flüchtiges Zeichen, das Agala in den Boden geritzt hatte!
    Sie selbst hatte es seinerzeit nicht mehr gewagt, dem Vater noch einmal so zuwiderzuhandeln. Sie war nicht noch einmal bei dem großen Stein im Wald gewesen und hatte sich mit Wai nicht mehr getroffen.
    Nur den Kiesel, den hatte sie noch länger in ihrer Gürteltasche getragen, bis zu dem Tag, von dem an alles anders geworden war, dem Tag, an dem Cythia

    Ich habe ihr die Zöpfe geflochten.
    Ich bin schuld an ...
    Moria packte die Hacke und hämmerte damit auf den Boden ein. Konnte sie es denn nie vergessen?
    Ihr ganzes Leben war eine heimliche Buße seither. Aber diese Schuld war nicht zu tilgen.
    Das Baby, das die Nebenfrau dem Vater geboren hatte, schrie. Moria warf einen kurzen Blick in den Korb, in dem es auf sein festes Wickelkissen geschnürt lag, und prüfte, ob die Wickelbänder durchnäßt waren oder stanken. Das Gesichtchen des Kindes war dunkelrot angelaufen und verzerrt. Aber ihm fehlte nichts. Erst am Abend mußte es wieder gestillt werden. Erst am Abend durfte man es wieder kosen und mit ihm spielen.
    Moria unterdrückte den Wunsch, das Kleine aus dem Korb zu nehmen und zu wiegen, damit es endlich aufhörte zu schreien. Die Mutter duldete nicht, daß ein Baby verzogen wurde. Um das Gebrüll nicht ganz so laut hören zu müssen, nahm Moria den Korb mit dem Baby und trug ihn nach nebenan

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