Die Göttin im Stein
große Ehre erwiesen ...
Der Vater trocknete die Hände, faßte leicht ihr Kinn. Sie kniete vor ihm, schlug nicht die Augen nieder wie sonst. Er lächelte ihr zu. »Der König hat für seinen besten Krieger um deine Hand angehalten! Ich habe sie ihm zugesagt.«
»Der König!« rief die Mutter aus. »Sein bester Krieger! O Moria, was für ein Glück! Du wirst ...« Sie stockte, sagte rasch in verändertem Ton: »Welch verdienter Ruhm für dich, mein Rösos!«
Moria preßte die Hände aufs Herz. Den Namen, Vater! Sag den Namen!
»Nun, in der Tat, es hat mich erfreut. Und der junge Mann hat alle Voraussetzungen, ein angesehener Herr zu werden. Er war der Anführer des letzten Kriegszuges und hat reiche Beute gemacht. Bei der Siegesfeier wurde von seinen Taten gesprochen und gesungen, und es war recht eindrucksvoll. Er hat Ehre, Tatkraft, Stärke und Mut, er verfügt über Weitblick, und er weiß sich Achtung und Gehorsam zu verschaffen. Mir scheint, er wird es weit bringen. Sein Name ist übrigens Lykos, Sohn des Nuerkop. Es heißt, Nuerkop wisse sich dem Tode nah. Wenn Lykos sein Erbe angetreten hat, wirst du Lykos' Frau, Moria! Vielleicht schon diesen Herbst!«
»Ja, Herr«, flüsterte sie. »Ich danke Euch.« Wie im Traum stand sie auf, ging zur Tür und trat hinaus.
»Moria, dein Vater hat dir nicht erlaubt zu gehen!« rief die Mutter hinter ihr her. Doch der Vater sagte ruhig: »Laß sie! Ich habe Verständnis dafür, daß sie jetzt allein sein möchte!«
Moria blieb unter dem Vordach stehen, sah in den Regen hinaus und lehnte sich an die Wand. So schwach war ihr plötzlich, ihre Knie weich und nachgiebig, ihre Hände zittrig.
Sie schloß die Augen. Lykos. Er hatte gesiegt. Und er hatte Wort gehalten.
Sie würde ihn lieben, ja, das würde sie.
Sie tat es ja schon längst!
Tränen rollten die Wangen hinab.
Sie wischte sie ab: Warum weinte sie? Sie war doch glücklich.
Was hatte der Vater gesagt? Er hat Ehre, Tatkraft, Stärke und Mut. Er weiß sich Achtung und Gehorsam zu versverschaffen
Gut. Es würde eine Freude sein, ihm zu gehorchen.
Mit ihm und ihr würde es anders sein als mit Krugor und Agala.
Göttin der Morgenröte, jungfräuliche Tochter des mächtigen Himmelsvaters, ich danke dir. Du hast meine Gebete erhört. Du hast dich für mich verwendet. Du hast mir den Bräutigam gewährt, den ich mir erhofft habe!
Hilf, daß ich ihm immer gefalle! Daß ich ihm viele Söhne schenke! Daß er mich immer liebt!
»Moria, ich habe gehört, du wirst verheiratet!« Agalas leise Stimme neben ihr.
Moria umarmte die Schwägerin.
Umschlungen standen sie da, hielten einander. »Ich wünsche Glück, Moria! Möge dieser Lykos ein guter Herr und freundlicher Gebieter für dich sein«, sagte Agala in Morias Haar hinein.
»Und ein rücksichtsvoller Mann!«
»O Agala!« Plötzlich weinte Moria. Agala streichelte ihr Haar, gab leise Laute des Trostes von sich.
Sicher dachte Agala, daß sie vor Angst weinte, sie mußte es ihr sagen, aber es ging nicht, die Tränen flossen einfach, und es war schön, von Agala getröstet zu werden.
Endlich trocknete sie die Tränen, rückte von der Schwägerin ab, lächelte ihr zu. »Danke, Agala. Ich bin so glücklich.«
Agala wandte ihr Gesicht ab, schwieg. Und dann sagte sie mit nüchterner Stimme: »Ein Gutes hat diese Heirat allemal: Du wirst nur einen Herrn haben und nicht zwei!«
Verblüfft starrte Moria ihre Schwägerin an, errötete. Es war wahr: Sie würde keinen Schwiegervater haben, und das war ein Glück. Aber es auszusprechen!
Die Mutter trat zu ihnen, holte Moria ins Haus.
Die ganze Familie versammelte sich, der Vater gab die Neuigkeit allen bekannt und lobte dabei den Brautpreis, den er für Moria erhalten würde. Jeder beglückwünschte Moria, jeder drückte ihr die Hand.
Der Vater brachte dem Himmelsvater ein Dankopfer und gelobte für den Tag der Hochzeit die Opferung eines Stieres.
Die Mutter und Agala trugen allein das Abendmahl auf, ließen nicht zu, daß Moria wie sonst die Männer bediente, richteten dann auch das Essen der Frauen und Kinder im Nebenraum festlich aus und bewirteten Moria, als sei sie ein Ehrengast.
Zum ersten Mal in ihrem Leben stand sie im Mittelpunkt, einen ganzen Abend lang.
Sie genoß jeden Augenblick davon.
Als sie sich zum Schlafen begaben, dankte sie dem Vater noch einmal. Er nickte wohlwollend. Und dann sagte er: »Übrigens, Nuerkops Hof, den Lykos übernehmen und in dem du leben wirst, liegt weit weg von hier. Aber in
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