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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Kreis. Aus ihm ragte zielbewußt und würdevoll eine große goldene Barke auf, eine Barke, von der ein Funkeln ausging. Tallow war bestürzt. Er gaffte das gewaltige Gebilde mit offenem Mund an. Seine winzige, in sich geschlossene Welt konnte dieses zweite Erlebnis nicht überstehen. Er war nicht mehr das zusammenhängende und undurchdringliche Wesen wie früher, denn zuvor hatte er nicht mit der goldenen Barke gerechnet. Er erlebte einen Schwall neuer Gefühle. Er wollte nicht, daß ihm die Barke im Vorbeifahren entkäme. Sie verschwand wieder im Dunst. Tallow fragte sich, ob sie nicht ein Trugbild, ein Spiel der Phantasie gewesen sei, welches die Formen des Dunstes in ihrem Wechsel geschaffen hatten. Er beruhigte sich jedoch. Er hatte keine Phantasie.
    Er wußte nicht, woher die Barke gekommen sein mochte. Er konnte auch ihr Ziel nicht erraten. Er war sich ganz sicher, daß sich das Rätsel seines fehlenden Nabels lösen würde, wenn er sie einmal erreicht hatte. Er eilte die Kaimauer entlang, huschte zu dem Platz, an dem seine Schaluppe vertäut lag. Sie schwamm schmutzig grau und braun und nach Teer und Fisch stinkend tief in dem öligen Wasser, das gegen die seidigen Steine des Kais schwappte. Sie lag da, als warte sie auf ihn. Tallows Mutter tauchte aus dem dunstigen Dunkel der Gasse auf, die zwischen Lagerhäusern hindurch zur Mitte der Stadt führte. Sie bewegte sich scheu, leckte sich die verbissenen Lippen und sah Tallow aus zusammengekniffenen Augen an. »Jephraim?« »Ja, Mutter?«
    Tallow antwortete geistesabwesend, lediglich aus Gewohnheit, während er sich abmühte, das Tau, mit dem das Boot festgemacht war, zu lösen.
    »Wo fährst du hin?« Selbst wenn sie versuchte, leise zu sprechen, war ihre Stimme rauh und mißtönend.
    »Fort, Mutter.« Die Knoten im Tau waren fest und ölver
klebt.
»Wohin, Jephraim?«
»Das weiß ich nicht.«
    Seine Mutter hustete wie eine Schauspielerin, die ihr Stichwort aufnimmt. Es war ein vertrautes Husten, gegen das Tallow nie etwas gehabt hatte, doch jetzt kam es ihm widerlich vor. Er wollte ihm entfliehen. Ihren alten, gebrechlichen Körper schüttelte es, und sie sah ihn aus engen Augenschlitzen an und hoffte auf sein Mitgefühl. Er schenkte ihr keines, hatte ihr nie welches entgegengebracht, da er unfähig war, Mitgefühl zu empfinden. Seine Mutter gab sich zum millionsten Mal versöhnlich, klammerte sich an seinen Arm und winselte: »Du gehst doch nicht fort? Nicht für immer, meine ich. Du wirst mich doch nicht ohne einen Penny zurücklassen?«
    »Ich werde natürlich gehen müssen, Mutter.« Ungeduldig. »Die Barke ist es. Hast du sie nicht gesehen? Vielleicht ist mein Nabel an Bord. Mutter, dich gibt es nicht mehr.« Doch Tallows Mutter hatte nur die Bedeutung seines ersten Satzes begriffen. Große Tränen rollten ihr abstoßend und albern über die zerfurchten Wangen. Ihr feuchter, nackter Mund gab ein schmatzendes Geräusch von sich, und Tallow fand, daß sie nach Altersschwäche stank. »Du brauchst mich, Sohn. Was wirst du machen, wenn ich mich nicht mehr um dich kümmere?«
    Tallow dachte tief über ihren Ausspruch nach und war dabei frei von Widerwillen. Nach einigen Augenblicken begriff er: »Du brauchst mich , Mutter, du brauchst mich, damit ich dich brauche. Das ist die Wahrheit.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist auf jeden Fall lächerlich. Wie können wir jetzt zusammenleben?«
    Das alte Weib hatte jedoch nicht zugehört. Sie schluchzte weiter und begehrte immer noch sein fehlendes Mitgefühl. »Nach allem, was ich für dich getan habe«, stöhnte sie. »Was ich alles getan habe.«
    »Du hast getan, was du nur tun konntest, Mutter. Jetzt aber ist nichts mehr zu tun.«
    Tallow nahm dann gar keine Notiz mehr von seiner Mutter. Das Tau verlangte seine ganze Aufmerksamkeit. Das vier Fuß große, breitmäulige, rothaarige, grinsende Zerrbild der Menschheit setzte sich nicht neben den Pfosten, um das Haltetau zu lösen, sondern klappte wie eine Spinne seine Glieder zusammen. Seine langen, spindeldürren Beine, die nicht zu dem Körper passen wollten, falteten sich in der Mitte ein, so daß seine Knie fast die Ohren berührten, und seine schlanken Finger begannen geschickt, die Knoten in dem schleimigen Tau zu lösen. Mit einem Stoß und einem Ruck schwankte die Schaluppe vom Kai weg und stellte sich gemächlich gerade. Tallow sprang hurtig auf die schmutzigen Planken des Bootes und faßte nach der Ruderpinne. Er hielt sie fest und ließ sich von der

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