Die Goldhaendlerin
Augenblick Geduld. Gleich geht es besser.«
Als Rachel nicht antwortete, löste sie die Hand der Schwester von ihrem Ärmel und begann sich mit müden Bewegungen auszuziehen. Für einen Augenblick überlegte sie, wenigstens das Hemd anzubehalten, doch die Webart des Leinens und die Stickereien würden sie genauso verraten, als wenn sie den gelben Kreis darauf trüge. Also nahm sie auch das letzte Kleidungsstück auf den Arm.
Kurz darauf stieg Gretchen die Treppe herab, in der einen Hand ein Bündel Kleider, in der anderen eine Laterne. Als sie ihre Freundin und deren Schwester nackt auf dem lehmigen Fußboden stehen sah, wandte sie verschämt den Blick ab. »Hier, zieht das an. Ich bringe das andere inzwischen weg.«
Mit einem gewissen Bedauern reichte Lea Gretchen ihre und Rachels Sachen und nahm die anderen Kleidungsstücke entgegen. Da Gretchen die Lampe wieder mit nach oben nahm, mussten die beiden Schwestern warten, bis sich ihre durch das Licht geblendeten Augen wieder an das Dunkel gewöhnt hatten. Um sie herum herrschten Schmutz und Moder, und alles, was sie anfassten, fühlte sich kalt und glitschig an, so als liefe das Gewölbe immer wieder voll Wasser.
Es dauerte eine gewisse Zeit, bis sie die ungewohnten Kleider angezogen hatten, und noch eine Weile danach zupften sie unglücklich an ihnen herum. Rachels Rock schleifte am Boden, Lea hingegen reichte das Gewand nur bis zu den Knien, war aber so weit, dass sie mindestens zweimal hineingepasst hätte.
Rachel schimpfte vor sich hin und zeigte dann anklagend auf Lea. »Mit dem Zeug fallen wir viel eher auf als in unserer eigenen Tracht.«
Lea zuckte mit den Schultern und griff unwillkürlich an ihre Brust, wo unterhalb ihres noch wenig ausgeprägten Busens ein harter Klumpen hätte hängen sollen. Aber da war nichts. In der Aufregung hatte sie vergessen, den Beutel mit dem Schmuck aus ihrem Kleid zu nehmen. Als sie Rachel fragte, musste auch ihre Schwester zugeben, dass sie die Wertsachen wie gewohnt mit dem Kleid abgelegt hatte.
»Ich muss mit Gretchen reden, bevor sie unsere Sachen verbrennt«, rief Lea erschrocken und kletterte vorsichtig tastend die wacklige Stiege hoch. Kaum hatte sie die Hälfte geschafft, hörte sie die keifende Stimme der Alten. Gretchens Antwort klang schrill und nervös, war aber durch das Holz nicht zu verstehen. Im nächsten Moment wurde die Falltür aufgerissen, und Lea sah, wie die Schwiegermutter Gretchen über die Kante stieß, so dass die junge Frau hilflos die Stiege hinunterschlitterte. Lea konnte ihre Freundin gerade noch auffangen und verhindern, dass sie beide kopfüber zu Boden stürzten. Die Alte schimpfte immer noch wüst, aber die zuschlagende Klappe ließ ihren Wortschwall unverständlich werden.
Gretchen löste sich aus Leas Armen, zog sich am Geländer hoch und stemmte sich gegen die Falltür. »Schnell, hilf mir«, rief sie Lea zu. »Ich wollte eben aus dem Haus, um deinen Vater zu warnen, aber die alte Hexe hat mir aufgelauert und mich ins Haus zurückgezerrt.«
Lea schob sich an ihre Seite und wollte sich mit dem Rücken gegen das Holz stemmen, da hörten sie, wie ein schwerer Gegenstand über den Boden gezogen wurde. Panikerfüllt versuchten sie, die Falltür aufzustoßen, aber es war zu spät.
»Gott, der Gerechte, was sollen wir jetzt tun? Mein Vater ist nicht mehr der Jüngste und kann nicht so schnell laufen. Sie werden ihn totschlagen!«
Lea schluckte ihre Tränen hinunter und sah sich um, aber hier gab es nichts, mit dem sie sich hätte befreien können. In ihrer Verzweiflung schob sie eines der Gestelle gegen die Wand, in der sich die kleine Öffnung befand, stieg darauf und untersuchte das Gitter. Es war rostig, aber noch fest verankert. Auch war das Fensterloch sogar für die zierliche Rachel zu klein. Da der Blick nicht von hohen Pflanzen behindert wurde, konnte Lea den Garten, die Gasse dahinter und die Mauer zum Judenviertel mit der Pforte darin erkennen.
Sie blickte Gretchen an und deutete mit dem Kinn nach draußen. »Vielleicht hört man uns, wenn wir schreien.«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Das würde die Falschen auf euch aufmerksam machen. Horch, sie kommen schon, um das Judenviertel zu stürmen. Wenn einer von denen mitbekommt, dass ich euch beide versteckt halte, bringen sie uns alle um.«
»Aber wir können doch nicht die Hände in den Schoß legen!«
Lea klammerte sich an das Gitter und weinte vor Verzweiflung.
Gretchen lehnte sich gegen das schwankende Gestell
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