Die Goldhaendlerin
Viertel kann uns jedoch nichts passieren.«
Lea ließ sich von der Zuversicht ihrer Base anstecken und stieß ihre Anspannung mit einem Seufzer aus. Von ihrem Bruder Samuel, der immer auf ihre Fragen einging und ihr viel erzählte, wusste sie, dass Kaiser Friedrich III. den Juden wohl gesonnen war und sie unter seinen Schutz gestellt hatte. Des Kaisers Wort mochte in einer Herrschaft wie Hartenburg nicht viel gelten, doch in einer freien Reichsstadt wie Sarningen besaß es großes Gewicht. Wahrscheinlich waren die Leute nur deshalb so unfreundlich, weil der Zinstag so knapp auf das dumme Gerede von einem ermordeten Christenkind folgte. Noomi zog den Riegel zurück und öffnete die Pforte. »Dort drüben ist das Haus der Familie Pfeiffer.«
Sie zeigte auf die Rückseite eines ansehnlichen Gebäudes, das durch eine schmale Gasse und einen üppig grünenden Garten vom Judenviertel getrennt war. Da es keinen Durchgang zwischen Gretchens Haus und der langen Reihe der Nachbarhäuser gab und Lea nicht weit durch die Stadt laufen wollte, um die Vordertür zu erreichen, beschloss sie, durch den Garten zu gehen und am Hintereingang zu klopfen.
Noomi versprach Lea noch, den Leuten, die innen neben der Pforte wohnten, Bescheid zu geben, damit sie auf ihre und Rachels Rückkehr Acht gaben, verabschiedete sich dann mit einem scheuen Lächeln und drückte das Tor hinter ihnen zu. Als Lea das Geräusch des sich schließenden Riegels hörte, fühlte sie ein Kribbeln im Magen. Ihr war, als wäre sie aus der Sicherheit der hohen Mauern in eine unbekannte, gefährliche Welt gestoßen worden.
Für einen Augenblick überlegte sie, zu klopfen und reumütig zu Tante Mirjam zurückzukehren, doch ihr Widerwille gegen diese Vorstellung gab ihr Kraft, sich zusammenzureißen, Rachel bei der Hand zu nehmen und auf Gretchens Heim zuzugehen. Der Garten, den sie nun durchquerten, war größer als alle Gärten der Judengasse zusammen, aber ebenso gut gepflegt.
Zwischen den Beeten hatte man niedrige Zierhecken angepflanzt, die ein paar blühende Büsche voneinander trennten, an der Hauswand rankte sich Spalierobst hoch, und ein paar Schalen an der Hauswand enthielten bunte Frühlingsblumen, die bereits am Verblühen waren.
Als Lea vor der Hintertür stand, musste sie vor Aufregung schlucken, denn die Reaktion der Christen auf die Ankunft ihrer Familie stand ihr noch deutlich vor Augen. Dann aber hob sie die Hand und klopfte kräftig. Einige Augenblicke lang tat sich nichts, aber als sie sich enttäuscht abwenden wollte, öffnete sich die Tür und eine junge, etwas füllige Frau mit einem hübschen Gesicht sah neugierig hinaus. Beim Anblick der beiden Judenmädchen erschrak sie sichtlich und warf abwehrend die Hände hoch. »Lea, Rachel, was macht ihr denn hier?«
So einen unfreundlichen Empfang hatte Lea von Gretchen nicht erwartet, und daher fiel ihre Antwort eher vorwurfsvoll aus.
»Wir sind mit Vater nach Sarningen gekommen und sollen dir Grüße von deinen Eltern überbringen.«
Da Gretchens Gesicht nicht freundlicher wurde, machte sie auf dem Absatz kehrt, doch ihre frühere Freundin hielt sie fest und zog sie und Rachel nach einem ängstlichen Blick in die Nachbarschaft ins Haus.
»Kommt schnell herein, bevor man euch hier sieht!« Ihre Stimme klang panikerfüllt.
Lea ließ sich in den dunklen Flur zerren, blieb dort aber stocksteifstehen und starrte Gretchen verärgert an. »Was ist los? Ich dachte, du würdest dich freuen, uns zu sehen.«
Gretchens Hände zitterten, und sie schien den Tränen nahe zu sein. »Ihr hättet nicht kommen sollen. Heute Abend werden die hiesigen Juden überfallen und aus der Stadt gejagt.«
Lea schüttelte den Kopf. »Das wird der kaiserliche Vogt nicht zulassen. Der Kaiser hat befohlen, die Juden zu beschützen, und das hat Herr von Rittlage ja auch schon vor zwei Wochen getan.«
»Das ist richtig. Aber hinterher ist ihm klar geworden, dass er eine Gelegenheit verpasst hat, seine Gläubiger unter den einheimischen Juden billig loszuwerden. Mein Peter steht in seinen Diensten und hat mir erzählt, dass Alban von Rittlage den bevorstehenden Zinstag und den immer noch nicht ganz verrauchten Zorn der Leute ausnutzen will, um alle Juden vertreiben zu lassen. Was für ein Unglück, dass ihr ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hierher kommen musstet.«
Sie drängte die beiden Besucherinnen weiter ins Haus. »Ich werde euch bei uns verstecken. Es sind schlechte Leute in der Stadt, die die jüdischen Männer
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