Franny Parker
Die Fakten
A ls mich Grandma Rae Parker am Morgen meiner heimlichen Taufe zu dem Prediger schmuggelte, sagte sie zu ihm: »Segnen Sie die hier doch bitte ein Fitzelchen mehr, lieber Pastor. Sie ist ja eigentlich eine Parker, aber ihre Augen haben den Blick ihrer Mutter.« Was Grandma Rae Parker einfach nicht begriff, war, dass ich genau darauf stolz bin, auf alles, was ich mit meiner Mutter gemeinsam habe.
Daddy sagt, dass Mama zur Hälfte Wolf ist. Mamas Liebe hat Zähne. Wie eine Wölfin, die ihre Jungen ganz vorsichtig im Maul trägt, dann aber auch die Lefzen zurückzieht und ihr scharfes Gebiss zeigt, wenn sie das Gefühl hat, die Kleinen schützen zu müssen. So ist Mama mit ihrem Rudel. Und genau das hat Grandma Rae Parker nie verstanden.
Jetzt zu dem Schmuggeln, an das ich mich natürlich nicht erinnern kann, weil ich damals erst ein kleines Baby war. Ich muss mich auf die Geschichte verlassen, wie Mama sie bisweilen erzählt, in einem stillen Augenblick, ehe sie mich zudeckt. Oder wie Daddy sie am Esstisch erzählt und vor lauter Lachen seine Augen in Fältchen legt.
Grandma Rae, die eben so ist, wie sie ist, glaubte, dass sie etwas Gutes tat, indem sie mich Küken zum Prediger schmuggelte. Mama und Daddy wussten natürlich nichts davon. Sie dachten, ich würde sicher in meiner Wiege unten in der Diele liegen. Sie waren in der Küche und machten Pfannkuchen und hatten alles andere vor, als mich an jenem Tag oder überhaupt jemals taufen zu lassen, das behauptet Mama wenigstens, deshalb kann ich mir vorstellen, dass sie nicht gerade erfreut waren. Aber für Grandma Rae kam es gar nicht infrage, ein Baby ohne den offiziellen Segen des Herrn großzuziehen. In ihren Augen war es schon schlimm genug, dass Daddy Mama geheiratet hatte, die ein Freigeist war, wie sie das nannte. Daher legte sie an jenem milden Sommermorgen ihren Sonntagsstaat an und nahm mich mit in die Kirche. Ganz heimlich, bis Mama fand, sie müsse wohl mal mit dem Pfannkuchenbacken aufhören und in meine Wiege schauen. Eine Wölfin hat eben ihre Instinkte.
Als sie endlich draufkamen, wo ich abgeblieben war, war ich bereits getauft. Natürlich ist das schon lange her. Es handelt sich um eine sogenannte Familienlegende, die anfangs vielleicht nicht als witzig empfunden wurde, deren unangenehme Ecken und Kanten sich aber im Lauf der Jahre abgeschliffen haben, indem jede Stimme, die davon erzählt, eben diese rauen Kanten etwas abträgt, wie der Wind die Felsenglatt schleift. Wir können darüber lachen, wenn wir sie jetzt erzählen; die Geschichte ist inzwischen nicht mehr so unerhört, wenn wir sie betrachten. Wenn wir sie heute rauskramen, schüttelt Mama nur den Kopf und lacht so leicht wie der Windhauch, der die Wellen kräuselt. »Es war eine Geste, Franny«, sagt sie zu mir. »Manchmal werden sogar die Nettesten falsch verpackt und kommen in Stücken an der Haustür an. Du musst einfach versuchen, daran zu denken, wie es gemeint war, mehr nicht.«
***
Im Sommer meines dreizehnten Lebensjahrs verstand ich schließlich, was Mama meinte. In jenem Sommer gab es viele gute Absichten, die prima klappten, aber auch ziemlich viele, die total danebengingen. Wie das Freudenfeuer der Feuerwehr zum 4. Juli. Die ganze Stadt versammelte sich am Badeteich und freute sich auf einen Abend mit Grillen, gerösteten Marshmallows und allem Drum und Dran. Aber aus dem Feuer sollte einfach nichts werden. Stunden später nichts als schwelende Holzstücke und Rauch. Kinder weinten und die Feuerwehrleute hielten entschuldigend die Hände hoch. Es war ein Picknick, bei dem unsere Burger-Brötchen hart wurden und die Marshmallows ungeschmolzen blieben. Die Feuerwehrleute mussten ein ziemlich schlechtes Gewissen gehabt haben, denn in der Woche darauf gab es eine Wiederholung. Mann,wie der Holzstoß loderte! Man konnte seine Marshmallows aus fünf Metern Entfernung rösten. Am Ende mussten sie einen der Feuerwehrwagen herholen und das Feuer ausspritzen. Aber es gab kein Gemecker. Alle aßen ihre angekohlten Hotdogs, die in matschigen Brötchen steckten. Wir wussten, dass die Feuerwehrleute ihr Bestes gegeben hatten. Mama hatte recht, die Absichten waren gut gewesen. Das muss man sich als Erstes merken.
Und als Zweites: die Rolle der Familie. In unserer Familie steht man sich sehr nahe, und damit meine ich, dass sich einige in dem Sinn sehr nahestehen, wie sehr wir uns mögen, und ein paar von uns sitzen einfach sehr eng aufeinander. Grandma Rae sagt, da gebe es
Weitere Kostenlose Bücher