Die Gottessucherin
Gassen und Gässchen, das sich wie ein zuckendes und atmendes Menschennest an das rechte Ufer des Tejo schmiegte. Folgte man von der Unterstadt aus dem Lauf des mächtigen Flusses, der an manchen Stellen bis zu sechstausend Fuß Breite einnahm, so gelangte man nach reichlich fünf Meilen in den Vorort Beiern, wo sich der Hauptankerplatz der Großsegler befand, der Viermastbarken und Sechsmastschoner. Dieser Hafen am äußersten Ende des Abendlandes, auf achtunddreißig Grad nördlicher Breite und acht Grad westlicher Länge gelegen, war das Tor zur Neuen Welt. Von hier aus waren die kühnsten und bedeutendsten Seefahrer der jüngsten Vergangenheit aufgebrochen, Vasco da Gama und Cristoforo Colombo, um den Seeweg nach Indien und den Kontinent Amerika zu entdecken. Auf keinem Fleck der Erde herrschte größere Betriebsamkeit als hier, unter dem Turm von Beiern. Vom Aufgang der Sonne bis zum Einbruch der Nacht mischte sich an den Hafenkais das eintönige Kreischen der Möwen mit dem babylonischen Geschrei der Kaufleute und Makler. Auf Portugiesisch und Spanisch, auf Deutsch und Italienisch, auf Holländisch und Französisch riefen sie einander Angebote und Preise zu, während die Schauerleute den Austausch der Waren besorgten. Schätze aus aller Herren Länder schleppten sie von den vertäuten Segelschiffen an Land: Kisten mit Gold und Silber und Edelsteinen, Ballen von kost barer Seide und Baumwollstoffen, Fässer mit Indigo-Farben und chinesischem Porzellan, Säcke voller exotisch duftender Gewürze und Kräuter. Und auf all das emsige Treiben schien die Sonne mit einem so strahlenden Glanz, als wollte der Himmel selbst diesen Ort und seine Geschäftigkeit segnen. Ja, der Segen des einen und allmächtigen Gottes lag tatsächlich über dem Land. Nach der Zwangsbekehrung der Juden auf der Praca do Rossio, mit der König Dom Manuel die Bedingung seiner Braut Isabella zur Einwilligung in die Ehe erfüllte, um durch die Vermählung mit der spanischen Infantin seinen Traum von einem vereinten iberischen Großreich zu verwirklichen, hatte er ein Dekret der Milde erlassen. Darin erteilte er allen gewaltsam getauften Juden in seinem Reich einen Gnadenerlass und bestimmte eine Frist von zweimal zehn Jahren, innerhalb deren sie weder der »Juderei« angezeigt noch vor das Glaubensgericht der Inquisition gezerrt werden durften, um ausreichend Zeit zu haben, sich ihrer alten Glaubensgewohnheiten zu entledigen und in ihren neuen Glauben hineinzufinden. Nach außen hatten diese Neuchristen jüdischer Herkunft, auch »Conversos« oder »Marranen« genannt, alle Pflichten des katholischen Bekenntnisses zu erfüllen, im Kreise ihrer Familien aber lebten sie weiter nach dem Gesetz ihrer Väter. Sogar eine Synagoge konnten sie, gleichsam im Schatten der zweihundert Kirchen der Stadt, ungestraft betreiben, wo sie im Gebet zusammenkamen, um mit Zerknirschung ihren Gott für die Sünde des Götzendiensts, den sie zur öffentlichen Bekundung ihrer Bekehrung an allen katholischen Fest- und Feiertagen in den christlichen Gotteshäusern leisten mussten, um Verzeihung zu bitten. Nur außer Landes durften sie nicht reisen ohne ausdrückliche Bewilligung des Königs.
Auf diese Weise sicherte sich Dom Manuel die Gunst seiner spanischen Gemahlin und band zugleich jene Teile der Bevölkerung an sich, denen sein Königreich einen bis dahin ungekannten Wohlstand verdankte: Ja, er hatte das Land von den Juden gesäubert, sie ausgerottet mit Stumpf und Stiel, ohne dass sie ihm den Dienst versagten. Abgesehen von einigen blutigen Auswüchsen, in denen sich der in tiefem Neid verwurzelte Hass der altchristlichen Bevölkerung auf die rührigen und betriebsamen Scheinchristen entlud - etwa nach einem Erdbeben oder einer Hungersnot, für die man die fluchbeladenen Juden wie für alle Naturkatastrophen verantwortlich machte -, erwies sich dieses Verhältnis für beide Seiten als so vorteilhaft, dass es auch Dom Manuels Nachfolger, König Jono III., bei seiner Thronbesteigung im Jahre 1521 übernahm, um es auf unbestimmte Zeit hin fortzusetzen, obwohl der Traum vom vereinten iberischen Großreich längst geplatzt war.
Nur einige wenige Juden der Stadt wollten sich nicht mit der heuchlerischen Doppelexistenz abfinden, die die neuen Zeiten ihnen abverlangten. Sie sehnten sich nach einem Leben, in dem sie sich frei und ohne Lüge zu ihrem wahren und wirklichen Glauben bekennen konnten. Zu ihnen gehörte auch Gracia Nasi, Beatrice de Luna mit christlichem Namen,
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