Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
wenn es Pflug, Flügel und Horn nicht gelingt,
Die Brücke zum Verstehen zu finden,
Wird Gorgrael, folgend seinem Ruf,
Zerstörung über euch bringen.
Sternenmann, hör mir gut zu!
Deine Macht wird dich töten,
Solltest du sie im Kampf einsetzen,
Eh’ sich erfüllt, was geweissagt ist:
Die Wächter werden auf Erden wandeln,
Bis Macht ihre Herzen verdirbt.
Abwenden wird sich ein Mädchen voll Gram
Und entdecken die Alten Künste.
Ein Weib wird selig umfangen des Nachts
Den Mann, der den Gatten erschlug.
Uralte Seelen, längst schlummernd im Grab,
Im Land der Sterblichen werden sie singen.
Die erweckten Toten gehen schwanger
Und werden das Grauen gebären.
Eine dunklere Macht wird sich erweisen
Als Bringer des Heils.
Und strahlende Augen von jenseits des Wassers
Erschaffen das Zepter des Regenbogens.
Sternenmann, hör zu, denn ich weiß,
Mit diesem Zepter vermagst du
Gorgrael in die Knie zu zwingen,
Sein Eis zu zerbrechen.
Aber selbst mit der Macht in Händen
Wird dein Weg niemals gefahrlos sein.
Ein Verräter des eigenen Lagers
Wird sich wider dich verschwören.
Verdränge den Schmerz der Liebsten,
Nur so entgehst du dem Tod.
Haß heißt die Waffe des Zerstörers.
Doch hüte dich, es ihm gleichzutun.
Denn Vergebung ist der einzige Weg,
Tencendors Seele zu retten.
1 D ER
R
HYTHMUS
DES
S
TERNENTANZES
Prinz Belial saß am Feuer und blickte zum Zelt des Sternenmannes hinüber. Vor zehn Tagen hatten sie diesen
Ort erreicht und seitdem vermochte die Armee sich nicht
mehr von der Stelle zu rühren. Axis’ schlechter gesundheitlicher Zustand ließ eine Fortsetzung des Marsches
nicht mehr zu. Außerdem hatte Aschures ikarischer Bote
ihnen in ihrem Namen ausgerichtet: »Ich komme. Unternehmt nichts, bis ich bei Euch bin.«
Wo bleibt Ihr, Zauberin? dachte Belial müde. Und was
wollt Ihr schon bewirken, auch nachdem Ihr hier eingetroffen seid? Was der Bote sonst noch mitzuteilen hatte,
hatte die Stimmung des Leutnants etwas heben können:
Aschure habe die Zwillinge zur Welt gebracht, und es
gehe ihr gut. Sie wolle unbedingt zu ihrem Gemahl, und
wahrscheinlich könne sie ihm helfen.
Hat die Herrin denn mittlerweile gelernt, ihre magischen Kräfte zu gebrauchen? hatte Belial von dem Ikarier
erfahren wollen.
Der hatte lange nachdenken müssen. Nun, sie habe
sich verändert … Mehr wußte der Vogelmann nicht zu
sagen, und damit mußte der Offizier sich zufriedengeben.
Plötzlich flog eine Zeltklappe auf. Der Leutnant zuckte zusammen.
Arne trat heraus. Eingefallene Wangen und eine sorgenzerfurchte Stirn zeichneten sein Gesicht.
»Irgendwelche Veränderungen?« krächzte Belial heiser.
»Nein«, antwortete der Kampfgefährte. »Ich bin nur
herausgekommen, um frisches Wasser zu holen.«
Ein Eimer voll geschmolzenen Schnees stand neben
dem Feuer. Arne goß etwas davon in den Topf, den er
mitgebracht hatte. Der Krieger verlangte seit einiger Zeit
immerzu nach Wasser, so daß der Leutnant sich fragte,
ob Axis’ innere Organe ebenso verbrannt waren wie seine Haut. Und Hunderte von Malen hatte er die Götter
angefleht, seinen Freund von seinen Qualen zu erlösen.
Laßt ihn doch endlich sterben!
Der Zustand des Sternenmanns hatte sich während des
Marsches immer weiter verschlechtert, sein Körper verfiel
von Tag zu Tag mehr. Selbst wenn Aschure ihnen nicht
durch ihren Boten aufgetragen hätte, auf sie zu warten,
hätte Belial über kurz oder lang anhalten lassen müssen,
weil sein Freund am Ende seiner Kräfte angelangt war.
Axis hatte selbst angeordnet, daß die Armee sich nach
Osten begebe, und darauf bestanden, auf seinem Streitroß
Belaguez zu reiten. Doch mittlerweile konnte er sich
selbst mit Hilfe von Decken und Seilen nicht mehr im
Sattel aufrechthalten. An dem Tag, an dem der Bote sie
erreicht hatte, war der General zweimal vom Pferd gerutscht. Die Stricke, die eigentlich zu seiner Sicherheit
angebracht waren, wären ihm, als er am Hengst hängend
mitgeschleift wurde, beinahe zum Verhängnis geworden.
Seit zehn Tagen lag der Krieger nun eingewickelt in
Decken in seinem abgedunkelten Zelt. Manchmal wimmerte und schrie er im Fieberwahn. Arne blieb die meiste
Zeit bei ihm, und Belial löste den Getreuen ab, wenn er
schlafen mußte.
Der Leutnant saß dann Stunde um Stunde bei Axis,
stumm vor Entsetzen über die grausamen Verstümmelungen seines Freundes und machtlos. Er hätte nie für
möglich gehalten, einmal hilflos mit ansehen zu müssen,
wie sein bester Freund auf solch
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