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Die Graefin Charny

Die Graefin Charny

Titel: Die Graefin Charny Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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ihr weder jetzt noch später etwas zu sagen.«
    »Dann tut es mir leid, daß ich Sie im Schlafe gestört habe«, sagte der Schließer; »aber in einer Stunde würde man Sie ohnehin geweckt haben.«
    »Du meinst also,« fragte Favras lächelnd, »es sei nicht mehr der Mühe wert, daß ich wieder einschlafe, nicht wahr?«
    »Hören Sie und urteilen Sie selbst«, sagte der Gefangenwärter.
    In den oberen Gängen entstand wirklich ein großer Lärm.
    »Aha, der Lärm gilt mir?« fragte Favras.
    »Ja, Herr Marquis, man kommt, um Ihnen das Urteil vorzulesen.«
    Der Marquis war zum Tode verurteilt; er sollte vor Notre-Dame Buße tun und sodann auf dem Grèveplatz gehängt werden.
    Favras hörte das Urteil mit der größten Ruhe an, und selbst bei dem Worte »gehängt« zuckte er nicht mit der Wimper.
    »Herr Marquis,« sagte der Gerichtsschreiber, »Sie wissen, daß Ihnen kein anderer Trost mehr bleibt als die Religion.«
    Der Priester kam, und man ließ den Marquis mit ihm allein.
    Was in dieser letzten Unterredung zwischen dem Verurteilten und dem Diener der Kirche vorging, weiß niemand. Ob Favras sein Herz, das vor den Richtern verschlossen geblieben war, im Angesichte Gottes auftat? Dies blieb ein Rätsel selbst für jene, die gegen drei Uhr nachmittags in seinen Kerker kamen und ihn ganz gelassen, sogar heiter fanden.
    Man zeigte ihm an, daß die Todesstunde geschlagen habe.
    Da man ihm Rock und Weste schon abgenommen und ihm die Hände gebunden hatte, so hatte man ihm nur noch Schuhe und Strümpfe auszuziehen und über seine übrigen Kleider ein Hemd zu ziehen. Dann befestigte man ihm auf seiner Brust eine Tafel, auf der die Worte standen:
Verschwörer gegen den Staat.
    Der Priester kam, und man ließ den Marquis mit ihm allein.
    Vor dem Châtelet erwartete ihn ein Karren mit einer brennenden Wachskerze darauf.
    Favras bestieg festen Schrittes den Karren; der Pfarrer folgte ihm und setzte sich, zu seiner Linken. Der Nachrichter stieg zuletzt auf und nahm hinter ihm Platz.
    Ehe der Henker sich setzte, legte er dem Marquis den Strick, mit dem er gehängt werden sollte, um den Hals.
    In dem Augenblick, als sich der Karren in Bewegung setzte, entstand eine Bewegung unter der Menge. Favras erkannte dicht bei dem Karren seinen nächtlichen Besucher in der Kleidung eines Fischhändlers. Er nickte ihm zu, aber dieses Kopfnicken bedeutete nur Dank und nichts anderes.
    Der Karren hielt vor der Notre-Dame-Kirche an.
    »Sie müssen absteigen und Buße tun«, sagte der Nachrichter. Favras gehorchte, ohne zu antworten.
    Er ging bis an das Kirchentor und kniete nieder. In der ersten Reihe der Umstehenden erkannte er den Fischhändler. Ein Gerichtsschreiber vom Châtelet drückte ihm das Urteil in die Hand.
    »Lesen Sie«, sagte er laut zu ihm. Dann setzte er leise hinzu:
    »Herr Marquis, Sie wissen, daß Sie nur ein Wort zu sagen haben, wenn Sie gerettet werden wollen.«
    Der Verurteilte gab keine Antwort, er begann das Urteil abzulesen.
    Er las laut und ohne die mindeste Erregung zu verraten.
    Gleich darauf setzte sich der Zug in der Richtung nach dem Grèveplatz wieder in Bewegung. Hier angelangt, sagte Favras: »Meine Herren, kann ich mich nicht einige Augenblicke in das Stadthaus begeben? Ich habe meinen letzten Willen zu diktieren.«
    Der Karren fuhr auf das Stadthaus zu, das Volk unten schrie und tobte.
    »Er will noch Enthüllungen machen!« schrie das Volk.
    Ein Mann in der Kleidung eines Abbé stand etwas abseits von der Menge; als er das laut und schnell sich verbreitende Gerücht vernahm, erblaßte er. »Oh, fürchten Sie nichts, Herr Graf Louis,« sagte eine spöttische Stimme neben ihm, »der Verurteilte wird über die Vorgänge an der Place Royale kein Wort sagen.«
    Der junge Mann sah sich hastig um. Die Worte, die er soeben gehört, hatte ein Fischhändler gesprochen.
    Favras ging festen Schrittes in das Stadthaus; als der Verurteilte wieder erschien, wurde er von den fünfzigtausend Menschen, die den Platz füllten, mit einem lauten Triumphgeschrei begrüßt.
    Favras sah sich um und sagte halblaut vor sich hin:
    »Nicht eine Kutsche! ... Der Adel hat ein kurzes Gedächtnis: gegen den Grafen von Horn war er höflicher als gegen mich.«
    »Der Graf von Horn war auch ein Mörder, und du bist ein Märtyrer«, antwortete eine Stimme.
    Favras sah sich um; er erkannte den Fischhändler, dem er schon zweimal auf seinem Todeswege begegnet war.
    In dem Augenblicke, als er den Fuß auf die erste Leitersprosse setzte, sprach

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