Die Graefin Charny
1. Kapitel
Auf dem Wege von Versailles nach Paris machte vor dem Gasthause an der Brücke zu Sèvres ein etwa fünfundvierzig- bis achtundvierzigjähriger Mann halt, der wie ein Schmied oder Schlosser gekleidet war. Ohne groß zu sein, war er ungemein schön gewachsen; er hatte einen kleinen Fuß; und auch seine Hand hätte für schön und zart gelten können, wenn sie nicht die Bronzefarbe der Eisenarbeiter gehabt hätte. Aber wenn man seinen Arm bis zu dem aufgerollten Hemdärmel betrachtet hätte, so würde man gesehen haben, daß die starken Muskeln mit einer feinen, fast aristokratischen Haut bedeckt waren.
Dieser Mann trug ein reich mit Gold eingelegtes Doppelgewehr, auf dessen Lauf der Name des Büchsenmachers Leclerc zu lesen war.
Der Mann war von Versailles gekommen und über alle Ereignisse genau unterrichtet; dem Wirt erzählte er, die Königin komme mit dem König und dem Dauphin; sie habe sich endlich entschlossen, dem Drängen des Volles nachzugeben und in die Tuilerien überzusiedeln.
Während er dies sagte, schaute er mehrfach und aufmerksam in die Richtung nach Paris, aus der jetzt ein Wanderer kam, der ebenfalls dem Handwerkerstande anzugehören schien.
»He, Kamerad!« sagte der wartende Gast, »das Wetter ist kalt und der Weg lang; nehmen wir nicht ein Glas Wein zur Stärkung und Erwärmung?«
Der Wanderer sah sich um.
»Meinet Ihr mich?« fragte er.
»Wen denn sonst? Ihr seid ja allein.«
»Und Ihr bietet mir ein Glas Wein an?«
»Warum denn nicht? Wir sind ja von dem gleichen Geschäft ...«
»Meinetwegen«, sagte der Handwerker, in das Wirtshaus eintretend.
Der Unbekannte deutete auf den Tisch und reichte ihm das Glas ...
»Die Nation soll leben!«
Die grauen Augen des Arbeiters hefteten sich einen Augenblick auf den andern. Dann sagte er:
»Das war wohl gesprochen: Die Nation soll leben! Was macht Ihr denn hier?«
»Wie Ihr seht, ich komme von Versailles, ich erwarte den Zug, um ihn nach Paris zu begleiten.«
»Was für einen Zug?«
»Wißt Ihr denn nicht, daß der König mit der Königin und dem Dauphin in Begleitung der Marktweiber und mit zweihundert Mitgliedern der Nationalversammlung, unter dem Schutze der Nationalgarde und Lafayettes, nach Paris zurückkehren?«
»Ich dachte es wohl, als ich mich heute früh um drei Uhr auf den Weg nach Paris machte.«
»So! Ihr habt heute früh um drei Uhr Versailles verlassen? Wart Ihr denn nicht neugierig, was dort vorgehen wird?«
»Jawohl, ich hätte gern gewußt, was aus dem Bourgeois wird, zumal da er, ohne mich zu rühmen, ein alter Bekannter ist; aber Ihr wißt ja, die Arbeit geht vor; man hat Weib und Kind, und die wollen leben, und das ist jetzt nicht so leicht, da die königliche Schlosserwerkstätte eingeht.«
Der Unbekannte ließ die beiden letzten Anspielungen unbeachtet. »Ihr habt also dringende Arbeit in Paris gehabt?«
»Ja, und die Arbeit ist gut bezahlt worden«, erwiderte der Handwerker.
»Die Arbeit war vermutlich schwer ...«
»Eine unsichtbare Tür!«
»Wo habt Ihr das gemacht?«
»Ja, das kann ich ...«
»Aha! Ihr wollt's nicht sagen.«
»Ich kann's nicht sagen, weil ich's nicht weiß.«
»Man hat Euch also die Augen verbunden?«
»Ja, so ist's; ich wurde an der Barriere mit einem Wagen erwartet. Man verband mir die Augen und brachte mich nach der Arbeit wieder mit verbundenen Augen an die gleiche Stelle.«
»Und gar nichts habt Ihr gesehen?«
»Nun ja. Als ich draußen an der Treppe stolperte, benutzte ich die Gelegenheit und verschob die Binde. Da sah ich links eine Baumreihe; das brachte mich auf die Vermutung, das Haus müsse am Boulevard stehen; aber das ist alles.«
»Ihr würdet das Haus nicht wiedererkennen?«
Der Schlosser sann einen Augenblick nach.
»Wahrhaftig nein,« sagte er, »das könnte ich nicht.«
Diese Versicherung schien der Unbekannte mit Befriedigung aufzunehmen.
»Es ist sonderbar,« sagte er, »daß man Schlosser von Versailles kommen läßt, um geheime Türen machen zu lassen ...«
»Jawohl,« sagte der Schlosser, »es gibt auch Schlosser in Paris ... und sogar Meister gibt's ... aber zwischen Meister und Meister ist ein Unterschied.«
»Aha!« sagte der Unbekannte lächelnd, »ich sehe, nicht nur Meister, sondern Meister über Meister.«
»Und Meister über alle ... Seid Ihr vom Geschäft?«
»Nun ja, so ziemlich.«
»Was seid Ihr?«
»Ich bin Büchsenmacher.«
»Ist das etwas von Eurer Arbeit?«
Der Schlosser nahm dem Unbekannten das Gewehr aus der
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