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Die Graefin Charny

Die Graefin Charny

Titel: Die Graefin Charny Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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erwiderte Favras. »Sie haben mich ja kaum zweimal gesehen.«
    »Lieber Marquis, man braucht einen Mann nicht oft zu sehen, um ihn kennenzulernen.«
    »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen«, antwortete er; »aber ich will nicht fliehen.«
    Der Baron sah den Gefangenen an, als ob er an seinem Verstande gezweifelt hätte.
    »Sie wundern sich,« sagte Favras sehr heiter, »woher mir der sonderbare Entschluß kommt, den Tod, wenn es sein muß, in jeder Gestalt zu erleiden. – – Nun, ich will es Ihnen sagen. Ich bin Royalist; meine Anschauung beruht auf einer tief innerlichen Überzeugung, es ist ein Glaube, eine Religion, und die Könige sind für mich die sichtbaren Repräsentanten der Religion. Wenn ich fliehe, so wird man glauben, der König oder Monsieur sei mir zur Flucht behilflich gewesen.«
    »Aber bedenken Sie doch, Marquis, welche Todesart Ihnen bevorsteht!«
    »Je schmachvoller der Tod, desto verdienstlicher das Opfer, Herr Baron. Der Erlöser ist am Kreuze zwischen zwei Missetätern gestorben.«
    »Ich ergebe mich noch nicht, Marquis«, sagte der Baron.
    »Gute Nacht, Baron!« sagte Favras und drehte sich nach der Wand um.
    Der Baron nahm ein Stück Papier und schrieb folgende Zeilen:
    »Wenn das Urteil gesprochen ist, wenn der Marquis von Favras von seinen Richtern, vom Könige, von Monsieur nichts mehr zu erhoffen hat, so braucht er nur, im Falle er sich eines anderen besinnt, den Pförtner Louis zu rufen und zu ihm sagen: Ich habe mich zur Flucht entschlossen, und man wird Mittel finden, ihn zu befreien. Wenn der Marquis auf dem verhängnisvollen Karren sitzt, wenn er vor Notre-Dame Buße tut, wenn er barfuß und mit gebundenen Händen den kurzen Weg vom Stadthause zum Grèveplatz macht, so darf er nur laut sagen: Ich will gerettet werden! Und man wird ihn retten.
    Cagliostro.
    Seit neun Uhr morgens war der Gerichtssaal mit Neugierigen überfüllt; jeder wollte den Angeklagten, an dessen Verurteilung niemand zweifelte, sehen.
    Vierzig Richter saßen im Kreise am oberen Ende des Saales; der Präsident unter einem Thronhimmel.
    Um drei Uhr gaben die Richter Befehl, den Gefangenen zu holen.
    Tiefe, grauenvolle Stille herrschte im Saal, als er eintrat.
    Das Gesicht des Gefangenen war ruhig und heiter, auf seine Kleidung war größte Sorgfalt verwendet. Er trug einen hellgrauen, gestickten, seidenen Frack, eine weiße Atlasweste, kurze Beinkleider, seidene Strümpfe, Schuhe mit Schnallen und das Ludwigskreuz im Knopfloch.
    Während der Marquis von Favras auf die Anklagebank zuging, lauschten alle Anwesenden mit angehaltenem Atem.
    Mitten unter den erbitterten Zuhörern erkannte der Angeklagte das leidenschaftslose Gesicht und den teilnehmenden Blick seines nächtlichen Besuchers.
    Das Verhör begann, dann wurden die Belastungszeugen vernommen.
    Favras, der sein Leben nicht durch die Flucht retten mochte, wollte es durch Beweisgründe verteidigen; er hatte vierzehn Entlastungszeugen vorladen lassen.
    Als die Belastungszeugen vernommen waren, erwartete er die seinigen zu sehen; aber der Präsident sagte:
    »Meine Herren, die Verhandlung ist geschlossen.«
    »Entschuldigen Sie, Herr Präsident,« entgegnete Favras, »Sie vergessen die auf mein Ansuchen vorgeladenen vierzehn Zeugen zu verhören.«
    »Der Gerichtshof«, erwiderte der Präsident, »hat beschlossen, die Zeugen nicht zu vernehmen.«
    Eine leichte Wolke zog über die Stirn des Angeklagten, dann schoß ein Blitz aus seinen Augen.
    »Ich glaubte vom Châtelet der Hauptstadt Frankreichs gerichtet zu werden«, sagte er; »ich habe mich geirrt; ich werde, wie es scheint, von der spanischen Inquisition gerichtet!«
    »Führt den Angeklagten ab!« gebot der Präsident.
    »Keine Gnade! Keine Gnade!« riefen fünfhundert Stimmen, als er den Saal verließ.
    Gegen ein Uhr nachts kam der Gefangenwärter Louis in seine Zelle und weckte ihn.
    »Herr Marquis,« sagte er, »die Richter sprechen in diesem Augenblick Ihr Urteil.«
    »Mein Freund,« erwiderte Favras, »wenn du mir sonst nichts zu sagen hast, so hättest du mich schlafen lassen sollen.«
    »Nein, Herr Marquis, ich habe Sie geweckt, um Sie zu fragen, ob Sie der Person, die in der vorigen Nacht bei Ihnen war, nichts zu sagen haben.«
    »Nein, ich habe nichts zu sagen.«
    »Besinnen Sie sich, Herr Marquis. Wenn das Urteil gesprochen ist, bekommen Sie eine Wache in Ihre Zelle, und jene Person, wie mächtig sie auch sei, vermag dann nichts mehr.«
    »Ich danke Ihnen, mein Freund,« erwiderte Favras, »ich habe

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