Die Graefin Charny
Favras die Worte:
»Mitbürger ... Betet für mich!«
Auf der vierten Stufe stand er wieder still und sagte mit ebenso lauter, fester Stimme:
»Mitbürger ... Ich sterbe unschuldig!«
»Sie wollen also nicht gerettet werden«, sagte einer der beiden Henkersknechte, der mit ihm die Leiter hinaufstieg.
»Ich danke, mein Freund«, erwiderte Favras; »Gott lohne Euch Euern guten Willen!«
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, stieß ihn der Henker von der Leiter ...
Der Mann in der Kleidung des Abbé bahnte sich in dem allgemeinen Tumult einen Weg durch die Menge, stieg schnell in einen gewöhnlichen Wagen ohne Wappen und Livree und rief dem Kutscher zu:
»Zum Luxemburg! ...«
Drei Personen erwarteten ihn mit großer Ungeduld: Monsieur und zwei seiner Vertrauten.
Ihre Ungeduld war sehr erklärlich: sie hätten schon um zwei Uhr, speisen sollen, und in ihrer Unruhe hatten sie noch keinen Bissen berührt.
Als der Wagen in den Hof fuhr, eilte Monsieur ans Fenster ... Gleich darauf trat der Mann in der schwarzen Tracht ein.
»Gnädigster Herr,« sagte er, »der Marquis von Favras ist gestorben, ohne ein Wort zu verraten.«
»Nun, dann können wir uns ruhig an den Tisch setzen, lieber Louis. Wir wollen auch beim Dessert ein Glas auf das Wohl dieses braven Edelmannes trinken.«
16. Kapitel
Einige Tage nach der Hinrichtung des Marquis von Favras ritt ein Mann auf einem Apfelschimmel langsam die Hauptallee von Saint-Cloud hinan.
Als er das Ende der Allee erreicht hatte, ritt er ohne Zögern durch das Gittertor und sah sich in dem weiten Schloßhofe um.
Auf der rechten Seite wartete vor einem Nebengebäude ein Mann, der dem Reiter einen Wink gab.
Dieser neigte sich auf den Hals seines Pferdes und fragte leise:
»Herr Weber?«
»Herr Graf von Mirabeau?« antwortete der andere.
»Ja, der bin ich«, sagte der Reiter und stieg behender ab, als man hätte erwarten können.
»Kommen Sie, Herr Graf,« sagte Weber, »die Königin erwartet Sie.«
Weber führte den Grafen in das Vorzimmer eines kleinen Pavillons, klopfte leise an eine Tür und öffnete diese.
»Der Herr Graf Riquetti von Mirabeau«, meldete er.
Dann trat er auf die Seite, um den Grafen durchzulassen.
Als der Graf gemeldet wurde, erhob sich in dem entferntesten Winkel des Zimmers eine weibliche Gestalt und ging ihm zögernd, fast erschrocken entgegen.
Es war die Königin.
Auch ihr Herz schlug ungestüm; sie hatte den gehaßten, verschrienen Mann vor sich; den Mann, den sie als den Haupturheber ihres Unglücks betrachtete.
Als Mirabeau einige Schritte vorgetreten war, verneigte er sich ehrerbietig und wartete.
Die Königin brach nach einer kurzen Pause das Schweigen und sagte bewegt:
»Herr von Mirabeau, der Doktor Gilbert gab uns einst die Versicherung, daß Sie geneigt wären, sich uns anzuschließen. Man machte Ihnen einen Antrag, den Sie mit einer Ministerkombination beantworteten. Es ist nicht unsere Schuld, Herr Graf, daß diese Kombination nicht zustande gekommen ist.«
»Ich glaube es,« antwortete Mirabeau, »und am wenigsten ist es die Schuld Eurer Majestät ... Die Kombination scheiterte an dem Widerstand gewisser Leute, die sich das Ansehen treuer Anhänger der Monarchie zu geben wissen.«
»Solche Täuschungen, Herr Graf, sind von unserer Stellung unzertrennlich ... Die Könige können so wenig ihre Freunde wie ihre Feinde auswählen; sie sind zuweilen gezwungen, Dienste anzunehmen, die ihnen verderblich werden.«
»Eure Majestät werden mich gewiß nicht zu denen zählen, die Sie als Ihre Gegner betrachten. Es ist freilich spät, sehr spät, ich weiß es wohl. Vielleicht vermag ich nur noch unterzugehen mit der Monarchie, zu deren Rettung ich heute berufen werde. Wenn ich mir's recht überlegt hätte, so würde ich vielleicht einen andern Augenblick gewählt haben, um der huldreichen Einladung Eurer Majestät Folge zu leisten; denn eben jetzt, da das Rote Buch,
»Glauben Sie denn, Herr Graf,« unterbrach ihn die Königin, »daß der König an diesem Verrat teilgenommen habe? Das Rote Buch ist vom König auf dringendes Verlangen und unter der Bedingung ausgeliefert worden, daß das Komitee den Inhalt desselben geheimhalte. Das Komitee hat es drucken lassen; das ist eine Wortbrüchigkeit gegen den König, und keineswegs ein Verrat des Königs gegen seine Freunde.«
»Diese Veröffentlichung,« erwiderte Mirabeau, »mißbillige ich als Mann von Ehre, ich verleugne sie als Abgeordneter. Warum gibt der König eine Waffe
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