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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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umherziehen sieht. Sie kamen mit dem Frühling, und plötzlich, wie das Kornelkirschenrosa, waren sie da, straßenaufund -abwärts und in den Wäldern ringsum. Aber ihr Anblick war unseren Männern verhaßt, und Daddy – das war unser Großonkel Uriah – sagte, er würde jeden, den er auf unserem Grund erwischte, erschießen. Also hab ich es nie verraten, wenn die Zigeuner Wasser aus dem Bach schöpfen oder die alten Winterpekannüsse stahlen. Eines Abends dann, es war im April und es regnete, ging ich zum Kuhstall, denn Fairybell hatte ein neues Kälbchen; in dem Kuhstall waren drei Zigeunerinnen, zwei alte und eine junge, und die junge war nackt und wand sich auf dem Kornstroh. Als sie sahen, daß ich keine Angst hatte und daß ich nicht weglaufen würde, um zu petzen, bat eine von den Alten, ich solle ein Licht bringen. Also, ich ging ins Haus und holte eine Kerze, und als ich zurückkam, hielt die Alte, die mich danach geschickt hatte, ein rotes, brüllendes Baby kopfunter an den Füßen und die andere Frau molk Fairybell. Ich half ihnen, das Baby in der warmen Milch zu waschen und in einen Schal einzuhüllen. Dann nahm die eine von den Alten meine Hand und sagte: ‚Jetzt mach ich dir ein Geschenk und lehre dich einen Vers.' Es war ein Vers auf immergrüne Rinde, auf den Drachenkopfarn und all die anderen Sachen, die wir hier in den Wäldern suchen:
       ,Brau das Tränklein braun und klar,
       Tropfenkur hilf immerdar.'
       Am Morgen waren sie fort; ich suchte sie in den Feldern und auf der Straße. Doch alles, was von ihnen zurückblieb, war der Reim in meinem Kopf."
       Unter lauten Zurufen, heulend wie Eulen, die am Tage unsicher sind, arbeiteten wir den ganzen Morgen in entgegengesetzten Waldstrecken. Gegen Nachmittag kletterten wir, unsere Säcke schwellend gefüllt mit abgeschälter Rinde und ausgestochenen zarten Wurzeln, zurück in das grüne Gewebe des Paternosterbaums und breiteten unser Mahl aus. Wir hatten gutes Bachwasser in einem irdenen Krug oder bei kaltem Wetter eine Termosfasche mit heißem Kafee, und wir reinigten unsere zuckerverklebten, hühnerfettigen Finger an einem Polster von Blättern. Und später, nachdem wir Blumenorakel befragt und über einschläfernde Dinge gesprochen hatten, trieb unser Floß im Baum durch den Nachmittag dahin; wir gehörten zu ihm wie die in der Sonne silbrigen Blätter und die dort nistenden Nachtschwalben.
    Ungefähr einmal im Jahre gehe ich hinüber zu dem Haus in der Talbostraße und spaziere im Hof umher. Gestern war ich wieder dort und fand einen alten Gußeisenkessel, der umgekippt im Unkraut lag wie ein schwarzer herabgestürzter Meteorstein: o Dolly – Dolly, wie sie über den Kessel gebückt alles, was wir in den Kornsäcken gesammelt hatten, ins kochende Wasser warf und mit einem abgesägten Besenstiel in dem Gebräu, das braun war wie tabaksafiger Speichel, rührte und rührte. Alles für ihre Arznei mischte sie allein, während Catherine und ich dastanden und ihr zusahen wie Lehrlinge einer Hexe. Später halfen wir dabei, die Essenz auf Flaschen zu füllen, und da sie einen Dampf entwickelte, der gewöhnliche Korken heraustrieb, war es meine besondere Aufgabe, Stöpsel aus Toilettenpapier zu rollen. Der Verkauf kam durchschnittlich auf sechs Flaschen die Woche, die Flasche kostete zwei Dollar. Das Geld, verfügte Dolly, gehörte uns dreien, und wir gaben es sofort aus, wenn es angekommen war. Wir ließen uns immer das Zeugs kommen, das in Magazinen annonciert war: Lerne Holz schnitzen – Das Puffspiel für jung und alt – Jedermann kann Bazooka schießen. Einmal bestellten wir ein Lehrbuch für Französisch, es war meine Idee gewesen, daß wir Französisch lernen müßten, um eine Geheimsprache zu haben, die weder Verena noch sonst irgend jemand verstehen könnte. Dolly war mit dem Versuch einverstanden, aber „passez-moi den Löfel" war alles, was sie zuwege brachte. Und nachdem Catherine gelernt hatte: „Je suis fatiguée", öfnete sie das Buch niemals wieder; sie behauptete, mehr brauche sie nicht zu wissen.
       Verena bemerkte öfers, man würde Unannehmlichkeiten haben, wenn sich irgend jemand vergiftete, andererseits aber zeigte sie wenig Interesse an der Tropfenkur. Dann rechneten wir einmal alle Einnahmen aus einem Jahr zusammen und entdeckten, daß wir so viel verdient hatten, um einkommensteuerpfichtig zu sein. Von da an begann Verena Fragen zu stellen. Geld war für sie wie eine Wildkatze, deren Spur sie mit dem

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